Dr. Katharina Kellmann

Deutschland in der Defensive

Zu Beginn des Jahres 1943 war endgültig klar, dass Deutschland den Krieg nicht mehr gewinnen konnte. Berlin befand sich in der Defensive. Die militärischen Kräfte des Reiches reichten nicht mehr aus, um aus eigener Kraft eine Entscheidung zu erzwingen. Die demografische Entwicklung und das rüstungswirtschaftliche Potenzial reichten nicht aus, um gegen die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion zu bestehen (vgl. Wegner, 2007, S. 20). An der Ostfront und in Nordafrika hatte die Wehrmacht schwere Niederlagen erlitten. Seit Januar 1943 griffen englische und amerikanische Bomber in großer Zahl Ziele im Reichsgebiet an. Wie reagierte die Führung des Regimes auf die neue Situation? In diesem Beitrag geht es um die Zeit zwischen dem Februar 1943 und dem November 1943.

 

Heldengedenktag
Pathos für den „Endsieg“: Am 21. März 1943 spricht Hitler auf dem „Heldengedenktag“ im Berliner Zeughaus. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-J05694 / Ernst Schwahn / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

 

Deutschland in der Defensive

Das Ende der 6. Armee in Stalingrad wirkte auf die Führung des NS-Regimes wie ein Schock (vgl. Kotze, 1974, S. 143, Tagebucheintrag 1.2.1943). Die größte Katastrophe seit der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 zwang dazu, die weiteren militärischen Maßnahmen zu überdenken (vgl. Salewski, 1975, S. 245). Noch im Dezember 1942 war der Wehrmachtführungsstab davon ausgegangen, dass die deutschen Armeen im Frühjahr 1943 ihre Offensive fortsetzen würden (vgl. Megargee, 2006, S. 233).

Während das Oberkommando der Wehrmacht bis Kriegsende keine neuen strategischen Lagebeurteilungen vorlegte, setzte man sich in der Seekriegsleitung, dem operativen Planungsstab der Marine, mit der neuen Situation auseinander. „Wird der russische Gegner von uns weiterhin unterschätzt“, so Korvettenkapitän Heinz Ambrosius am 12. Januar 1943, „und entgegen dem Kardinalgesetz aller Politik und Strategie, nämlich mit der ungünstigsten Lage zu rechnen, gehandelt, so muß uns dieses zum Verhängnis werden.“ (Salewski, 1975, S. 231)

Führende Offiziere hielten den Zeitpunkt für gekommen, die Spitzengliederung der Wehrmacht zu reformieren (vgl. Gersdorff, 1977, S. 135). Sie machten den Führungsstil Hitlers und die unübersichtliche Kommandostruktur für die Rückschläge verantwortlich. Der Diktator sollte sich nicht mehr in die operative Führung des Krieges einmischen und einen Wehrmachtgeneralstab schaffen, der für alle Kriegsschauplätze verantwortlich wäre. In Generalfeldmarschall Erich von Manstein, dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, sahen viele einen geeigneten Kandidaten (vgl. Schwarz, 1985, S. 48).

Manstein traf am 7. Februar 1943 im „Führerhauptquartier“ ein, um die kritische Lage seiner Truppen mit Hitler zu besprechen. Der Offizier forderte mehr Entscheidungsfreiheit und sprach auch die Frage des Oberbefehls an. Hitler blieb jedoch bei seiner Auffassung, dass nur er das Heer führen könne (vgl. Kotze, 1974, S. 144, 1.2.1943). Die Entwicklung spitzte sich im Februar zu. Der Heeresadjutant Hitlers, Major Engel, hielt in seinem Tagebuch fest, dass es offenbar eine „Vertrauenskrise“ zwischen dem Diktator und den höheren Offizieren gäbe (Kotze, 1974, S. 144, 18.2.1943). Allerdings waren die Militärs nicht bereit, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht ein Ultimatum zu stellen. Erich von Manstein glaubte, die Wehrmacht wäre in der Lage, die Ostfront zu stabilisieren und die Voraussetzungen für einen Sonderfrieden mit der Sowjetunion zu schaffen (vgl. Manstein, 1955, S. 317). Bei geschickter Führung sei noch ein Unentschieden möglich (vgl. Hoffmann, 1992, S. 263). Im März 1943 gelang es ihm, trotz zahlenmäßig unterlegener Kräfte, die Rote Armee zu schlagen und den Südflügel der Ostfront zu stabilisieren. Diesen wichtigen Sieg konnte er erringen, weil Hitler ihn gewähren ließ und die Führung der Roten Armee schwere Fehler machte.

Immerhin mussten auch Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht nun einräumen, dass der Übergang zur Defensive unvermeidlich war. Am 13. März 1943 hatte der Diktator in seinem Operationsbefehl Nr. 5 eine begrenzte Offensive in Russland angekündigt. Die Heeresgruppen Mitte und Süd sollten den russischen Frontvorsprung bei Kursk angreifen. Die Anregung dazu ging vom Generalstab aus. Ein Vorschlag Hitlers, der eine kleinere Operation vorsah, lehnten führende Offiziere des Heeres ab (vgl. Magenheimer, 2019, S. 189). Am 18. April 1943 erläuterte General Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabes, japanischen Offizieren die deutschen Pläne für das Jahr 1943:

„Ziel Sommer 1943: Weniger Raumgewinn als Sowjetunion zu hohen Menschenverlusten durch kurze Vernichtungsschläge und Anrennen-Lassen bringen. Menschenfrage in Sowjetunion bereits schwierig. Abgesunkener Wert sowjetrussischer Infanterie. Dazu kommt Schwierigkeit in der Beschaffung von Lebensmitteln und Rohstoffen. Hauptfeind naturgemäß England/Amerika. Trotzdem japanischer Gedanke an Sonderfrieden mit einem Gegner wie die Sowjetunion nicht zu verwirklichen. Bleibt also nur, Sowjetunion so zu schwächen, daß sie nicht mehr angriffsfähig im großen, dann Divisionen und Luftwaffe frei für anderweitige Verwendung. Bis dieses Ziel erreicht ist, wird es noch einige Zeit dauern. Aber es wird erreicht werden.“ (Martin, 2001, S. 275).

Ob Hitlers engster militärischer Berater aus diplomatischen Gründen die Westmächte als wichtigsten Gegner betrachtete, muss offenbleiben. Das Dokument verrät dennoch viel über die Denkweise im „Führerhauptquartier“ 1943. Die Sowjetunion galt als ideologischer Feind, mit dem man keinen Frieden schließen wollte. Trotz der Niederlage bei Stalingrad unterschätzte man an der Spitze der Wehrmacht noch immer den Gegner (vgl. Speer, 1969, S. 315; Warlimont, 1990, S. 290). Auch die kritische Situation in Tunesien wurde heruntergespielt. Am Schluss des Protokolls hieß es: „U-Boot Krieg wird weiter wirken, europäisches Festland gesichert, im Osten menschenmäßig schwächen, Luftangriffe zwar unangenehm, aber zu 80 % Häuserschäden; Industrieschäden lassen sich ausgleichen. Feind wird bei Erfolgen deutscher Luftabwehr vielleicht Maschinen, auf Dauer Besatzungen aber nicht ersetzen können.“ (Martin, 2001, S. 276).

Die Ausführungen Jodls sollten beim japanischen Verbündeten den Eindruck erwecken, dass Deutschland die Situation beherrschen würde. Aber schon im Mai später folgten schwere Rückschläge. Vom 9. bis zum 13. Mai 1943 kapitulierten mehr als 200 000 italienische und deutsche Soldaten im Brückenkopf Tunesien. Die Niederlage schwächte das faschistische Regime in Italien und verschlechterte die strategische Lage des Reiches (vgl. Magenheimer, 2019, S. 171). Am 24. Mai 1943 zog der Oberbefehlshaber der Marine, Großadmiral Dönitz, die U-Boote aus dem Nordatlantik zurück. Die Verluste waren zu hoch geworden.

Militärische Führung als Krisenmanagement

Jodls Lagebeurteilung war die Grundlage entzogen worden. Mit dem Fall Nordafrikas hatte sich die strategische Südflanke der „Achsenmächte“ (Deutschland und Italien) vergrößert. Die Wehrmacht musste Verbände nach Italien und Griechenland verlegen – Kräfte, die auf anderen Kriegsschauplätzen dringend benötigt wurden (vgl. Weisung Nr. 48b in: Hubatsch, 1983, S. 217-218). Mit den U-Booten fiel im Mai die letzte Angriffswaffe des Reiches aus. Die Luftwaffe tat sich in der ersten Jahreshälfte schwer, die alliierten Bomber wirksam zu bekämpfen.

Im Heer entstand der Eindruck, dass die oberste Führung kein Konzept besaß. Ein Offizier im Oberkommando des Heeres schrieb am 18. Juni 1943 an seine Frau: „Es ist dort (im Führerhauptquartier, die Verfasserin) eine gräßliche Atmosphäre von Leichtfertigkeit, Lethargie, (Treibenlassen der Dinge und Vogelstraußpolitik), Überheblichkeit und Schimmerlosigkeit“ (Stieff, 1991, S. 168). Hitler räumte gegenüber Großadmiral Dönitz im Sommer ein: „Ich wurstele mich von einem Monat zum andren weiter“ (Wegner, 1999, S. 198).

Zweimal am Tag fand eine Lagebesprechung statt. Hitler ließ sich von Jodl und dem Chef des Generalstabes des Heeres, General Zeitzler, über die Situation an den Fronten vortragen. Der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht beschäftigte sich dabei mit Problemen, die normalerweise ein Offizier vor Ort gelöst hätte. Wollte ein General seine Truppen zurücknehmen, musste er dies vorher im „Führerhauptquartier“ beantragen. Hitler, der im Ersten Weltkrieg nicht über den Rang eines Mannschaftssoldaten hinaus gekommen war, dirigierte vom Kartentisch aus Armeen. Jodl und Zeitzler mussten viel Energie darauf verwenden, vernünftige Entscheidungen zu bekommen. Für grundsätzliche Fragen der Kriegführung fanden Hitler und seine Berater kaum noch Zeit.

Die Beschäftigung mit taktischen Aushilfen füllte ab 1943 den Tagesablauf im Wehrmachtführungsstab und im Generalstab des Heeres (vgl. Meyer, 2001, S. 234). Immer wieder kam es zu Krisen. Nach dem Krieg verglich ein ehemaliger Offizier des Wehrmachtführungsstabes General Jodl mit einem Mann, „der zur Deckung seiner Ausgaben tausend Mark braucht, aber nur einige hundert in der Tasche hat“ (Loßberg, 1949, S. 22). Jodl war wie Hitler der Meinung, dass der Krieg möglichst weit entfernt von den Grenzen des Reiches geführt werden sollte. Der Historiker Heinz Magenheimer vertritt die Ansicht, dass diese Strategie „wesentliche Nachteile aufwies“ (Magenheimer, 2019, S. 169). Der Kampf auf überdehnten Fronten verhinderte beim Heer die Bildung von Reserven und zwang die Luftwaffe dazu, starke Kräfte zur Unterstützung der Bodentruppen in Russland und Italien einzusetzen.

Im Generalstab des Heeres stellte Generalleutnant Heusinger Überlegungen für eine kräftesparende Verteidigung an. Im Westen und im Norden sollten die Atlantikküste und Norwegen gehalten werden, im Mittelmeerraum die Linie „Saloniki-Tirana-Appenin-Florenz-Südküste Frankreichs“, und im Osten empfahl der Chef der Operationsabteilung, die Front auf eine Linie zurückzunehmen, die sich auf die Eckpfeiler Riga an der Ostsee und die Krim im Schwarzen Meer stützte (vgl., Meyer, 2001, S. 223).

Im Wehrmachtführungsstab kam man am 8. September 1943 „zu dem Schluß, daß die fehlenden Reserven auf weite Sicht nur durch die Aufgabe vorgeschobener Positionen (im Original kursiv, die Verfasserin) gewonnen werden können. Im Westen und Norden scheidet diese Möglichkeit aus. Im Südosten würde eine Preisgabe von Griechenland den Aufbau einer neuen Landfront in der Linie Valona-Saloniki erforderlich machen, die mehr Kräfte benötigen würde als die Küstenverteidigung Griechenlands. Von den auf Kreta und Rhodos eingesetzten Truppen würde in diesem Fall mindestens das Material verloren gehen. Nur in Süditalien (im Original kursiv, die Verfasserin) könnten Kräfte eingespart werden.“ (Schramm, 1963, S. 1073 f.)

Im Wehrmachtführungsstab wurden auch Offiziere der Luftwaffe und der Marine eingesetzt. Die drei Teilstreitkräfte stimmten nicht immer überein, wenn es um die Rücknahme von Frontabschnitten ging. Was aus Sicht des Heeres notwendig schien, widersprach Interessen der Marine oder der Luftwaffe. Weit vorgelagerte Positionen der Bodentruppen belasteten das Heer. Sie waren aber aus Sicht der Luftwaffe und des Rüstungsministeriums wichtig, denn nur von Flugplätzen, die tief im russischen Raum lagen, konnte man die gegnerischen Produktionsstätten angreifen (vgl. Speer, 1969, S. 295; MGFA Hrsg., 2001, S. 356, Beitrag Boog). Großadmiral Dönitz als Oberbefehlshaber der Marine wiederum besaß ein Interesse daran, dass das Heer vor Leningrad im Norden und auf der Krim im Schwarzen Meer stehen blieb (vgl. Salewski, 1975, S. 233, 387). Die Krim war in den Augen des Reichsaußenministeriums wichtig, denn nur wenn deutsche Truppen die Halbinsel hielten, glaubten die Diplomaten für die Neutralität der Türkei bürgen zu können. Hitler schloss sich diesen Argumenten bereitwillig an (vgl. Heusinger, 1957, S. 277).

Der Diktator hätte als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht grundlegende Entscheidungen treffen müssen. Doch er beschäftigte sich in den Lagebesprechungen mit dem Stand einzelner Bataillone oder hielt den anwesenden Offizieren Vorträge über militärisches Führertum, wobei er sich auf seine Erfahrungen in der NSDAP bezog. Im Juli musste die Wehrmacht weitere schwere Niederlagen hinnehmen. Unternehmen Zitadelle, die deutsche Sommeroffensive an der Ostfront, scheiterte. Ende Juli 1943 wurde Hamburg mehrere Tage lang von englischen und amerikanischen Bombern angegriffen und zum großen Teil zerstört. Die Alliierten landeten auf Sizilien. Benito Mussolini, der faschistische Diktator, wurde am 25. Juli 1943 gestürzt. Deutsche Truppen marschierten in Italien ein.

Auch in der Spitze des NS-Regimes wurden nun Zweifel laut. Propagandaminister Goebbels, einer der radikalsten Ideologen, nahm die Nachrichten mit Bestürzung auf. „Wie nun die Dinge auch liegen, ich stelle dem Führer vor, daß wir mit der einen oder anderen Seite ins klare kommen müssen,“ notierte er am 23. September 1943 in seinem Tagebuch. „Ein Zweifrontenkrieg ist vom Reich noch nie gewonnen worden. Wir müssen also sehen, aus dem Zweifrontenkrieg auf irgendeine Weise herauszukommen“(Lochner, 1948, S. 443). Goebbels brachte ein Element der traditionellen Machtpolitik in die Diskussion: den Kompromiss. Die nationalsozialistische Vorstellung vom Krieg beruhte auf der Annahme, dass es danach nur „Überlebende und Vernichtete“ geben würde (Domarus, 1988, S. 1979). Nun deutete sich beim Propagandaminister eine Lösung an, die auf Ausgleich beruhte. Dass Goebbels über eine Frage nachdachte, die offiziell tabu war, wäre kaum möglich gewesen, wenn sich Hitler nicht auch damit beschäftigt hätte (vgl. Lochner, 1948, S. 426).

Wie weit die Bereitschaft des Diktators zu einem radikalen Kurswechsel ging, lässt sich schwer sagen. Offiziell blieb die Propaganda des Regimes bei der Formel ‚Sieg oder Untergang‘. Hitlers Luftwaffenadjutant Nicolaus von Below kam die Haltung des Diktators „zwiespältig“ vor: Er habe den Gedanken „nicht ganz von sich“ gewiesen, letztendlich aber doch eine militärische Lösung befürwortet (Below, 1980, S. 347).

Invasion als Chance?

An wen sollte sich das Reich wenden, falls es einen Sonderfrieden anstrebte? Churchill und der amerikanische Präsident Roosevelt hatten auf der Konferenz von Casablanca erklärt, dass Deutschland, Italien und Japan nur bedingungslos kapitulieren könnten.

Sondierungen in Richtung Stalin hielten Reichsaußenminister Ribbentrop und Rüstungsminister Speer für angebracht (vgl. Kehrl, 1973, S. 302 f.). Der Außenminister sprach Hitler im September 1943 auf diese Möglichkeit an, doch der Diktator lehnte ab (vgl. Ribbentrop, 1953, S. 264 f.). 1943 gab es inoffizielle Kontakte zwischen Berlin und Moskau, die über Mittelsmänner verliefen und die von der Sowjetunion angeregt wurden (vgl. Schröder, 1985, S. 26 ff.). Der genaue Inhalt der Gespräche ist jedoch nicht bekannt und für den Historiker Carsten L. Weinberg blieben sie 1995 „in einem Nebel von Widersprüchen verborgen.“ In der Nachkriegsliteratur ist sogar behauptet worden, Ribbentrop und der sowjetische Außenminister Molotow hätten sich 1943 heimlich getroffen, doch auch dafür fehlen Belege (vgl. Schröder, 1985, S. 27).

Fest steht nur, dass auf deutscher Seite die Wilhelmstraße (der Dienstsitz des Reichsaußenministeriums) seit dem Winter 1942/42 Interesse an einem politischen Ausgleich bekundete. Ribbentrop sah in der Sowjetunion nicht so sehr einen ideologischen Gegner, sondern einen machtpolitischen Faktor. Seinem Antikommunismus fehlte im Vergleich zu Hitler die rassenideologische Komponente (vgl. Michalka, 1980, S. 298). Wie Generalfeldmarschall Erich von Manstein war er für eine politische Lösung offen, zumal ein Sonderfrieden mit Moskau in sein Konzept eines ‚europäisch-asiatischen Kontinentalblocks‘ passte, der sich gegen England richtete. Der Reichsaußenminister betrachtete London als Hauptgegner (vgl. Hillgruber, 1982, S. 395 f.).

Hitler hoffte im Herbst 1943 auf ein Auseinanderfallen der gegnerischen Koalition. Im Protokoll einer Besprechung, die der Diktator am 2. September 1943 mit dem rumänischen Staatschef, Marschall Antonescu führte, heißt es: „In dem Maße, in dem die Feinde glauben, sich dem Siege zu nähern, träte bei ihnen die Verschiedenartigkeit der Zielsetzung immer stärker zutage. Zwischen den Zielen, die die Russen verfolgen, und denen der Engländer und Amerikaner klaffe eine immer größer werdende Differenz, die nur dadurch überbrückt würde, daß in beiden Fällen die Juden Einfluß auf die Regierung hätten.“ (Akten zur deutschen auswärtigen Politik, 1979, S. 477, Dokument Nr. 276).

Deutschland, so das Kalkül, müsse weiterkämpfen, bis es zum endgültigen Bruch zwischen der UdSSR und den Westmächten käme. Zweifellos gab es Gegensätze zwischen den Bündnispartnern. Hitler übersah jedoch, dass gerade seine verbrecherische Politik die Alliierten aneinander band. Letztlich war „Durchhalten“ aber die einzige Möglichkeit, die sich dem Deutschen Reich bot. Im Herbst 1943 endete die planlose strategische Defensive, in der die deutsche Führung seit Stalingrad verharrte.

Paradoxerweise war es eine neue militärische Herausforderung, die die deutsche Führung zur letzten strategischen Grundsatzentscheidung des Krieges zwang (vgl. Warlimont, 1990, S. 428). Am 3. November 1943 traf Hitler mit der Weisung Nr. 51 die Entscheidung, die Verteidigungsanstrengungen im Westen zu intensivieren. Die Ostfront sollte dahinter zurücktreten (vgl. Hubatsch, 1983, S. 233-238). Was sich als neue Gefahr für die bereits überspannten Kräfte des Reiches andeutete, barg aus der Sicht des Diktators Chancen. Gelang es der Wehrmacht, die alliierte Invasion bereits an der Küste abzuschlagen, so eröffneten sich Perspektiven. Zum einen hätte der Sieg psychologische Auswirkungen auf das Reich und die Verbündeten gehabt. Zum anderen bot er die Chance, Kräfte aus dem Westen abzuziehen und an die Ostfront zu werfen. Das Reich hätte militärisch wieder Bewegungsfreiheit erlangt, die Spannungen unter den Alliierten wären gewachsen und die für 1944 zusätzlich ins Auge gefassten Vergeltungswaffen hätten London endgültig davon überzeugen sollen, dem Reich auf dem Kontinent freie Hand zu lassen (vgl. Salewski, 1975, S. 408 ff.).

Dieses Szenario mag übertrieben scheinen, doch ein deutscher Abwehrsieg hätte Washington und London vor große Probleme gestellt. Solange Deutschland große Teile Europas besetzt hielt, war eine Steigerung der Rüstungsproduktion möglich, schützte im Westen ein strategisches Vorfeld die Grenzen des Reiches. Das militärische Potenzial ließ eine dritte Front nicht mehr zu. Entweder der Feind wurde zurückgeschlagen oder der Krieg war endgültig verloren. Hitler folgte seiner Neigung zum Wunschdenken und sah nur die positiven Möglichkeiten. Nach Stalingrad hatte er geglaubt, den Krieg im Osten beenden zu können. Nun war die Rede davon, dass sich das Reich Bodenverluste an der Ostfront noch erlauben konnte. Die Sprache des Regimes änderte sich. Das Durchhaltepathos ersetzte die offensive Rhetorik früherer Jahre. Die Aufmerksamkeit der Führung galt nicht mehr dem Ural, sondern den Reichsgrenzen. Hitler, der 1939 angetreten war, um die deutsche Hegemonie über Europa zu begründen, hatte nur noch die Wahl, wo er den Schwerpunkt der Verteidigung bilden sollte.

 

 

Beiträge auf dieser Homepage, die mit dem Thema zu tun haben:

Rettungsanker Europa? — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

Ein Beitrag über die außenpolitische Situation Deutschlands 1943.

Manstein, retten Sie Deutschland!“ — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

Ein Beitrag über die Rolle von Generalfeldmarschall Erich von Manstein 1943/44.

Hitlers engster militärischer Berater — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

Ein Beitrag über Generaloberst Alfred Jodl, von 1939 bis 1945 Chef des Wehrmachtführungsstabes.

Führungschaos in der Luftwaffe? — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

Der Mangel an Koordination und Führung trat gerade in der Luftwaffe deutlich hervor.

 

Weiterführende Informationen:

https://www.freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:1970/datastreams/FILE1/content

Ein grundlegender Aufsatz des Historikers Bernd Martin zu diesem Thema.

Schlacht von Kursk: Warum „Zitadelle“ immer wieder verschoben wurde – WELT

Johann Althaus über die Vorbereitungen zu „Unternehmen Zitadelle“.

 

Gedruckte Quellen:

Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945, Serie E: 1941-1945, Band VI: 01. Mai bis 30. September 1943, Göttingen 1979

Max Domarus (Hrsg.), Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Teil II: Untergang, Band 4: 1941-1945, 4. Aufl., Leonberg 1988

Louis P. Lochner (Hrsg.): Goebbels Tagebücher. Aus den Jahren 1942-1943, Zürich 1948

Horst Mühleisen (Hrsg.): Hellmuth Stieff. Briefe, Berlin 1991 (Deutscher Widerstand 1933 – 1945)

 

Literatur (eine Auswahl):

Nicolaus von Below, Als Hitlers Adjutant 1937-1945, Mainz 1980

Rudolph-Christoph Frhr. von Gersdorff, Soldat im Untergang, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1977

Christian Hartmann, Halder, Generalstabschef Hitlers 1938 – 1942, Paderborn 1991

Adolf Heusinger, Befehl im Wiederstreit, Schicksalsstunden der deutschen Armee 1923-1945, Tübingen 1957

Joe J. Heydecker, Johannes Leeb, Der Nürnberger Prozess, Köln 2015

Walther Hubatsch (Hrsg.): Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939 – 1945, 2. Aufl., Bonn 1983

Luise Jodl, Jenseits des Endes, Leben und Sterben des Generaloberst Alfred Jodl, Wien, München, Zürich 1976

Axel Kellmann, Generaloberst Alfred Jodl – Chef des Wehrmachtführungsstabes: Ein Beitrag zur Diskussion über das Verhältnis zwischen Wehrmacht und NS-Regime, Saarbrücken 2004

Hildegard von Kotze (Hrsg.): Heeresadjutant bei Hitler 1938 – 1943. Aufzeichnungen des Majors Engel, Stuttgart 1974 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte)

Basil Henry Liddell Hart, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, Düsseldorf 1972

Bernhard von Loßberg, Im Wehrmachtführungsstab, Hamburg 1949

Erich von Manstein, Verlorene Siege, Bonn 1955

Heinz Magenheimer, Die deutsche militärische Kriegführung im II. Weltkrieg. Feldzüge – Schlachten – Entscheidungen, Bielefeld, Garmisch – Partenkirchen 2019

Bernd Martin, Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg. Vom Angriff auf Pearl Harbour bis zur deutschen Kapitulation, Hamburg 2001

Geoffrey P. Megargee, Hitler und die Generale. Das Ringen um die Führung der Wehrmacht 1939 – 1945, Paderborn, München, Wien, Zürich 2006

Georg Meyer, Adolf Heusinger, Dienst eines deutschen Soldaten 1915-1964, Hamburg, Berlin, Bonn 2001

Wolfgang Michalka, Ribbentrop und die deutsche Weltpolitik 1933-1940. Außenpolitische Konzeptionen und Entscheidungsprozesse im Dritten Reich, München 1980

Rolf – Dieter Müller, Der letzte deutsche Krieg 1939 – 1945, Stuttgart 2005

Richard Overy, Verhöre. Die NS-Elite in den Händen der Alliierten 1945, Berlin 2005

Erich Raeder, Mein Leben, Band 2: Von 1935 bis Spandau 1955, Tübingen 1957

Michael Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung 1939-1945. Band II: 1942-1945, Frankfurt/M. 1975

Bodo Scheurig, Alfred Jodl, Gehorsam und Verhängnis. Biografie, Berlin Frankfurt am Main 1991

Percy E. Schramm (Hrsg.): Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht 1943, Bonn 1963

Josef Schröder, Bestrebungen zur Eliminierung der Ostfront 1941-1943, Göttingen, Zürich 1985

Eberhard Schwarz, Die Stabilisierung der Ostfront nach Stalingrad. Mansteins Gegenschlag zwischen Donez und Dnjepr im Frühjahr 1943, Göttingen, Zürich 1985

Walter Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939 bis 1945. Grundlagen – Formen – Gestalten, Band 1 und 2, Augsburg 1990 (Nachdruck der Originalausgabe aus dem Jahr 1962)

Bernd Wegner, Von Stalingrad nach Kursk, in: in: Karl-Heinz Frieser (Hrsg.): Die Ostfront 1943/44. Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten, München 2007, 3 – 82

Siegfried Westphal, Erinnerungen, 2. durchgesehene Auflage, Mainz 1975

Alan P. Wilt, Alfred Jodl – Hitlers Besprechungsoffizier in: Roland Smelser, Enrico Syring (Hrsg.): Die Militärelite des Dritten Reiches. Ullstein, Berlin / Frankfurt am Main 1995, S. 236–250

 

Der Beitrag wurde am 6 April 2021 überarbeitet.