Dr. Katharina Kellmann

„Manstein, retten Sie Deutschland!“

„Manstein, retten Sie Deutschland“, soll Generalfeldmarschall Fedor von Bock Anfang Mai 1945 auf dem Sterbebett seinen Kameraden, Generalfeldmarschall Erich von Manstein, gebeten haben. Das NS-Regime hatte den Krieg verloren. Auch Manstein hätte daran nichts mehr ändern können. Die Worte, die dem Sterbenden von Bock zugeschrieben werden, zeigen aber, wie hoch das Ansehen dieses Offiziers war.

Erich von Manstein (1887 bis 1973) galt und gilt als einer der besten Truppenführer des Zweiten Weltkrieges und war ein „williger Weltanschauungskrieger“ (vgl. Epkenhans, Zimmermann, 2019, S. 87). Dennoch hatte Hitler ihn Ende März 1944 von seinem Kommando als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd entbunden. Der Generalfeldmarschall hatte mehrmals militärische Entscheidungen des Diktators offen kritisiert. Manstein wollte beweglich führen und die überdehnten Fronten seiner Heeresgruppe verkürzen, während der „Führer“ von ihm das Gegenteil verlangte: Die Truppe sollte jeden Fußbreit Boden verteidigen. Innerhalb der Wehrmacht glaubten viele Generäle, Manstein hätte die Niederlage abwenden können, wenn Hitler ihn rechtzeitig zum Generalstabschef der Wehrmacht ernannt hätte. War Erich von Manstein ein „verhinderter Stratege?“

 

Hitler begrüßt Generalfeldmarschall von Manstein am 10. März 1943 auf einem Feldflugplatz. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1995-041-23A / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

 

In diesem Aufsatz geht es um die Jahre 1943/44. Innerhalb der deutschen Streitkräfte wurde immer intensiver eine Reform der Spitzengliederung diskutiert: Hitler sollte sich nicht mehr in Details der Kriegsführung einmischen, sondern die Leitung der Operationen an allen Fronten einem erfahrenen Feldmarschall überlassen. Ein Name wurde oft für diesen Posten genannt: Erich von Manstein. Auch Vertreter des Widerstands gegen das NS-Regime bemühten sich in dieser Zeit um den Generalfeldmarschall und wollten ihn für die Unterstützung des Attentats gewinnen.

Manstein, der Hoffnungsträger

Am 4. Dezember 1942 sprach General Alfred Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabes, mit japanischen Verbindungsoffizieren über die militärische Situation des Reiches. Zu diesem Zeitpunkt war die 6. Armee in Stalingrad im Süden Russlands bereits eingekesselt, die Lage an der Ostfront äußerst kritisch. „Manstein unterwegs“ – mit diesen Worten teilte Jodl den Verbündeten mit, dass Hitler den Offizier zum Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe bestimmt hatte, die die 6. Armee retten sollte (Martin, 2001, S. 271).

Anscheinend genoss Erich von Manstein auch außerhalb Deutschlands einen hervorragenden Ruf und das Regime glaubte, bei seinen Verbündeten den Eindruck erwecken zu können, der Generalfeldmarschall könnte die Krise meistern.

Manstein legte 1906 auf der Kadettenanstalt das Abitur ab und schlug die Laufbahn eines Berufsoffiziers ein. 1913/14 besuchte er die Kriegsakademie. Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verwundet und zum Hauptmann befördert. Nach 1918 blieb er Berufssoldat. Schon in den Dreißigerjahren galt Manstein als kommender Chef des Generalstabes des Heeres. Doch die erhoffte Beförderung blieb aus. 1938 wurde Manstein mit dem Kommando einer Division in Schlesien betraut. Bei Kriegsbeginn ernannte man ihn zum Chef des Generalstabes einer Heeresgruppe, die am Polen-Feldzug teilnahm.

Im Januar 1940 legte er Hitler ein Konzept vor, das als Grundlage für den Plan diente, mit dem Frankreich im Mai 1940 in wenigen Wochen besiegt wurde – der sogenannte „Sichelschnittplan“. Während des Feldzuges führte er ein Panzerkorps. Im September 1941 übernahm er das Kommando über die 11. Armee, die an der Ostfront operierte. Mit ihr eroberte Manstein im Mai 1942 die Festung Sewastopol auf der Krim und erhielt den Marschallstab, den höchsten militärischen Rang, den ein deutscher Offizier erreichen konnte.

Ende November 1942 wurde Erich von Manstein mit dem Oberbefehl über die Heeresgruppe Don, später Heeresgruppe Süd, betraut. Zu ihr gehörte auch die in Stalingrad eingeschlossene 6. Armee. Der Feldmarschall glaubte, die kritische Situation bewältigen zu können, wenn Hitler ihm freie Hand ließe. Die 6. Armee hatte sich auf Befehl der Wehrmachtsführung eingeigelt. Reichsmarschall Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, sagte zu, die Soldaten aus der Luft versorgen zu können. Stalingrad galt als strategisch wichtiger Verkehrsknotenpunkt und der Name der Stadt verlieh darüber hinaus den Kämpfen noch eine gewisse Symbolbedeutung.

Am 30. November 1942 bat Erich von Manstein den Diktator am Telefon, ihm auch die Heeresgruppe A im Kaukasus zu unterstellen. Mansteins Adjutant Alexander Stahlberg hat nach dem Krieg in seinen Erinnerungen das Gespräch beschrieben. Der Diktator weigerte sich, der Bitte Mansteins nachzugeben, denn diese Truppen hätten den Auftrag, ihre Positionen zu halten, damit sie im nächsten Frühjahr über den Kaukasus hinaus nach Palästina vorstoßen könnten. Außerdem wäre die Wehrmacht auf das Öl aus Südrussland angewiesen. Der Feldmarschall erwiderte, wenn er die Heeresgruppe A bekäme, würde er im Süden der Ostfront den Russen eine schwere Niederlage bereiten, die Deutschland automatisch den Zugang zum Öl sicherte (vgl. Stahlberg, 1994, S. 247 ff.).

Die Szene sagt viel über Erich von Manstein und sein Verhältnis zu seinem Obersten Befehlshaber aus. Der Feldmarschall war ein selbstbewusster Offizier, der mit seinem analytischen Verstand und seiner schnellen Auffassungsgabe oft als Besserwisser erschien. Doch der eigentliche Gegensatz zwischen ihm und Hitler lag darin, dass Manstein den Krieg als Bewegungsgefecht führen wollte. In seinen Augen kam es darauf an, vorübergehend den Kaukasus zu räumen um die Russen, die sich auf Stalingrad konzentriert hatten, angreifen und vernichten zu können. Gleichzeitig sollte die 6. Armee aus dem Kessel ausbrechen.

Nach dem Sieg über die russische Südfront wäre dann der Weg zu den Ölfeldern frei geworden. Manstein versuchte Hitler klarzumachen, dass die Kräfte des Ostheeres nicht ausreichen würden, um gleichzeitig Stalingrad und die verlängerte Front im Kaukasus zu behaupten. Stattdessen sollten die Deutschen gegen die sowjetische Übermacht einen Vorteil ausspielen, den sie immer noch besaßen: ihre taktische Überlegenheit.

Hitler teilte Manstein wenige Tage später mit, dass die 6. Armee Stalingrad zu halten hätte. Die Aufgabe der Heeresgruppe Süd bestünde darin, sie dabei zu unterstützen. Wie im Winter 1941/42 glaubte der Diktator, dass man keinen Fußbreit Boden preisgeben dürfe. Gegen den Befehl Hitlers wollte von Manstein den eingeschlossenen Truppen nicht eigenmächtig den Ausbruch gestatten. Im Laufe des Dezembers zeichnete sich ab, dass die Luftwaffe Stalingrad nicht aus der Luft versorgen konnte. Ein letzter Versuch der Heeresgruppe Don, kurz vor Weihnachten zu den Eingeschlossenen durchzustoßen, scheiterte.

Manstein musste jetzt verhindern, dass seine Truppe nicht das gleiche Schicksal erlitt. Anfang Januar 1943 leitete er die ersten Rückzugsbewegungen ein. Nach dem Fall von Stalingrad Anfang Februar 1943 drohte der Zusammenbruch des Südflügels der Ostfront. Schließlich war die Situation so kritisch geworden, dass Hitler sich mehrere Tage nicht mehr in die Operationen einmischte. In den ersten zehn Wochen des Jahres 1943 gelang es dem Feldmarschall, durch seine überlegene Führung einen wesentlich stärkeren Gegner zu schlagen, ja, die deutschen Truppen konnten wieder Boden gut machen.

Frühjahr 1943: Stabilisierung der südlichen Ostfront

Neben dem Plan zur Westoffensive im Januar 1940 zählt die Stabilisierung des Südflügels der Ostfront im März 1943 zu den herausragenden Leistungen Erich von Mansteins (vgl. Schwarz, 1985, S. 48). Ein hoher Offizier im Oberkommando des Heeres schrieb am 16. März 1943 an seine Frau:

„Wir sind aus diesem Winterfeldzug mit einem erstaunlich blauen Auge davongekommen. Das Hauptverdienst daran trägt aber die wirklich fabelhafte Führungskunst von Manstein.“ (Mühleisen, 1991, S. 165)

Diese Erfolge bestärkten den Generalfeldmarschall in der Ansicht, dass der Zweite Weltkrieg noch nicht verloren sei. Er war davon überzeugt, dass Deutschland mit einer geschickten Führung immer noch ein Remis, also einen Sonderfrieden mit der Sowjetunion, erreichen könne: „Wird der Russe geschlagen oder wenigstens zum Stehen gebracht“,  so Manstein am 8. August 1943 in seinem Tagebuch, „dann werden wir mir den Westmächten in Europa immer fertig werden.“ (Manstein, Fuchs, 1981, S. 186).

 

Am Kartentisch
Lagebesprechung im Hauptquartier der Heeresgruppe Süd im Juni 1943. Generalfeldmarschall Erich von Manstein (rechts) und Generaloberst Hermann Hoth (links). Quelle: Bundesarchiv, Bild 101I-022-2927-26 / Mittelstaedt, Heinz / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.

 

Wie man mit den Westmächten „fertig werden“ könne, sagte er nicht. Manstein war ein hervorragender Truppenführer, aber die Bedeutung der See- und Luftstreitkräfte scheint er nicht erkannt zu haben. Wahrscheinlich hätte der Generalfeldmarschall mit seiner flexiblen Defensivtaktik den Vormarsch der Roten Armee aufhalten können, aber die Auswirkungen der Bombardements auf die Rüstungsindustrie und die Zivilbevölkerung im Reichsgebiet unterschätzte er. Unklar ist auch, ob er wusste, dass der U-Boot-Krieg gescheitert war. Mit den Westmächten konnte man nicht so einfach „fertig werden“, wie der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd glaubte.

Am 22. Januar 1943 hatte Manstein gegenüber dem Chef des Generalstabes des Heeres, General Zeitzler, seinen Standpunkt über die Weiterführung des Krieges deutlich gemacht: „Wenn der Feldherr (Hitler die Verfasserin) zugleich auch noch die Aufgaben seiner Unterführer übernimmt; wenn er zugleich mit allen Sorgen der Politik und Staatsführung belastet ist, wenn sein Wille allein die Machtmittel schaffen kann, dann muß auch das größte Genie letzten Endes vor einer unlösbaren Aufgabe stehen. Ich halte es für unerlässlich, daß der Führer seinen Unterführern das Vertrauen schenkt, das sie verdienen, ihnen die Freiheit läßt, die sie brauchen, um richtig führen zu können, und damit die Ruhe gewinnt, in der allein operative Entschlüsse reifen können. Ebenso halte ich es für unerlässlich, daß er für die gemeinsame Kriegführung auf allen Kriegsschauplätzen nur einen Berater hört und dessen Urteil auch das Vertrauen schenkt, ohne das es nicht geht“ (Hoffmann, 2004, S. 264).

Mit dieser Auffassung stand Erich von Manstein 1943 nicht alleine da. Viele Offiziere hatten ihr Vertrauen in die militärischen Fähigkeiten Hitlers verloren. Teilweise wurden auch seine Berater für die Rückschläge verantwortlich gemacht. Im Heer galt von Manstein als erster Anwärter für den Posten eines Generalstabschefs, der für alle Fronten verantwortlich wäre. Zwei der renommiertesten Truppenführer, die Generalfeldmarschälle von Kluge und Rommel waren bereit, sich Erich von Manstein zu unterstellen (vgl. Stahlberg, 1994, S. 339). Der Generalfeldmarschall versuchte mehrmals vergeblich, den Diktator von einer Reform der Spitzengliederung zu überzeugen. Hitler „wußte keinen General, zu dem er das Vertrauen hatte, um ihn mit der von Manstein geforderten Machtfülle auszustatten“, erinnerte sich Nicolaus von Below, Luftwaffenadjutant im „Führerhauptquartier“ in seinen Memoiren (Below, 1980, S. 329). Manstein berichtete nach dem Krieg, dass Hitler nicht bereit gewesen sei, „diese Frage sachlich zu behandeln.“ (Manstein, 1955, S. 438). Propagandaminister Goebbels zeigte sich empört über den Vorschlag des Offiziers (vgl. Reuth, 2003, S. 1912, Goebbels-TB 17. März 1943).

Letztlich lagen Manstein und Hitler gar nicht so weit auseinander, was ihre Strategie anging. Beide wollten den Krieg fortsetzen, um den Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Unterschiede gibt es jedoch hinsichtlich der Ziele. Manstein dachte in den Kategorien einer traditionellen Großmachtpolitik (vgl. Hillgruber, 1974, S. 359). So wie Preußen den Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) überstehen konnte, weil Russland 1762 ausschied und die übrigen Mächte erschöpft waren, so hätte sich in den Augen des Feldmarschalls auch das Deutsche Reich 1943/44 behaupten können. Hitler hingegen wollte im Angesicht der drohenden Niederlage zumindest sein größtes Verbrechen, die Ermordung der europäischen Juden, vollenden. An einem Kompromiss mit der Sowjetunion war er nicht interessiert. Das Reich würde entweder durchhalten oder untergehen (vgl. Goebbels-TB, 8. Februar 1943, 1993, S. 296).

Im Sommer 1943 scheiterte die letzte deutsche Großoffensive an der Ostfront. Mansteins Heeresgruppe war an den Kämpfen beteiligt. Ab August 1943 wirkte sich die zahlenmäßige Überlegenheit der Roten Armee immer stärker aus. Die Auseinandersetzungen zwischen Manstein und dem „Führerhauptquartier“ nahmen zu. Der Generalfeldmarschall plädierte wieder für eine bewegliche Verteidigung, während Hitler jeden Rückzug verweigerte (vgl. Frieser, 2007, S. 360). Selbst geringfügige Truppenbewegungen bedurften der Zustimmung des „Führerhauptquartiers“. Als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht beschäftigte sich Hitler mit der Position einzelner Bataillone (vgl. Irving, 1975, S. 387). Die Heeresgruppe Süd musste auf überdehnten Frontlinien die Angriffe der Russen abwehren und verlor zunehmend die Initiative. Das Oberkommando der Heeresgruppe konnte nur noch reagieren.

Im März 1944 stellte von Manstein dem Diktator ein Ultimatum. Die 4. Armee, ein Teil seiner Heeresgruppe, war eingekesselt worden. Hitler untersagte wie bei Stalingrad einen Ausbruchsversuch. Manstein teilte dem Diktator mit, dass er den eingeschlossenen Truppen Handlungsfreiheit gewähren würde; ein zweites Stalingrad wollte er nicht hinnehmen. Hitler gab widerwillig nach, enthob den Feldmarschall aber am 30. März 1944 seines Kommandos. Die Zeit der Operationen sei vorbei, so der Diktator. Gefragt wären nun Generäle, die keinen Schritt zurückgingen. Als Manstein kurz darauf in seinem Heimatstandort angelangt war, konnte er mit Genugtuung feststellen, dass sich die 4. Armee dank seiner Befehle durchgeschlagen hatte (vgl. Frieser, 2007, S. 449). Bis Kriegsende erhielt der Generalfeldmarschall keine Verwendung mehr.

Manstein und der militärische Widerstand

 

Im Widerstand
Versuchte Manstein für den Widerstand zu gewinnen: Rudolf-Christoph von Gersdorff. Aufnahme aus dem Jahr 1944. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1976-130-51 / Autor unbekannt / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Erich von Manstein gehörte zu jenen höheren Generälen, die von Vertretern des Widerstandes umworben wurden. Führende Vertreter der Opposition wie Graf Stauffenberg, Henning von Tresckow oder Christoph Freiherr von Gersdorff suchten Kontakt zu dem Mann, der als fähigster deutscher General galt.

Über die Gespräche, die Stauffenberg, Tresckow oder Gersdorff mit Manstein führten, gibt es nur Zeitzeugenberichte. Mansteins Adjutant Alexander Stahlberg erwähnt in seinen Erinnerungen den Besuch von Major Claus Schenk Graf Stauffenberg am 26. Januar 1943 bei der Heeresgruppe. Stauffenberg war im Generalstab des Heeres in der Organisationsabteilung tätig. Der Major, zu diesem Zeitpunkt bereits ein entschiedener Gegner der NS-Diktatur, trug über die Aufstellung von Freiwilligenverbänden vor, die aus Kosaken und Turkmenen bestehen sollten. Dann schnitt Stauffenberg die militärische Lage an. Mit dem bevorstehenden Verlust der 6. Armee konnte sich der junge Offizier nicht abfinden. Manstein erinnerte an den Siebenjährigen Krieg, den Preußen trotz einiger schwerer Niederlagen überstanden hätte. Eine Änderung der militärischen Spitzengliederung sei nötig, und dafür würde er sich bei Hitler einsetzen. An ungesetzlichen Aktionen würde er sich jedoch nicht beteiligen. Das Wort Attentat soll nicht gefallen sein, aber Manstein spürte offensichtlich, dass der junge Major weitreichende Pläne hatte. Der Generalfeldmarschall machte deutlich, dass er einen Umsturz ablehnte, denn die Wehrmacht würde daran zerbrechen. Das Gespräch endete ohne Ergebnis. (zum Besuch Stauffenbergs bei Manstein siehe Stahlberg, 1994, S. 264 ff.).

Hitler, notierte von Manstein in seinem Tagebuch am 8. August 1943, sei „der einzige Mann, der das Vertrauen des Volkes und der Soldaten“ besitze: „Kein anderer würde das haben. Es gibt auch keinen, der ihn ersetzen könnte, wenn er z. B. durch Krankheit ausfiele.“ (Manstein, Fuchs, 1981, S. 185)

Als Oberst Christoph Freiherr von Gersdorff am 8. August 1943 bei Manstein vorsprach und offen die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes andeutete, beharrte der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd darauf, dass die Streitkräfte sich nicht in politische Fragen einmischen sollten. Noch nach dem Krieg verteidigte er seine Haltung:

„Wenn man an einen Staatsstreich denken wollte, musste man ihn (Hitler, die Verfasserin) und seine Hauptstützen als erstes umbringen. Zu so etwas konnte sich aber ein Soldat, noch dazu im Kriege, nicht hergeben. Entscheidend war aber noch, daß die Ermordung Hitlers unter allen Umständen alsbald zum Zusammenbruch der Kampfmoral der Truppe, die im Osten ohnehin weit überbeansprucht war, geführt hätte, also im Endeffekt zur bedingungslosen Kapitulation. Dazu konnte sich kein O.B. (Oberbefehlshaber, die Verfasserin), der die Verantwortung an der Front trug, m. A. hergeben.“ (undatierte Mitteilung von Erich von Manstein an Peter Hoffmann aus den Nachkriegsjahren, in: Hoffmann, 2004, S. 313).

Hitler als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht nahm für Manstein den Platz ein, den der letzte deutsche Kaiser im Ersten Weltkrieg innehatte. Er war der Oberkommandierende und Loyalität ihm gegenüber galt als höchste Pflicht. Die ernste Mahnung der Widerständler, dass jeder Gehorsam an ethischen Prinzipien gebunden sei, ließ der Generalfeldmarschall nicht gelten. Was Manstein 1943 mit dem Regime verband, war eine Erfahrung, die Hitler in verhängnisvoller Weise für seine Diktatur instrumentalisieren konnte: die Erinnerung an den Zusammenbruch im November 1918. Bei dem Befehlshaber der Heeresgruppe Süd rief die Niederlage, so der Historiker Enrico Syring, „einen latent fortschreitenden antibolschewistischen Affekt“ hervor, waren es in der Optik der Militärs doch angeblich Linke und Juden, die dem Heer den „Stoß in den Rücken“ versetzt hatten (Syring, 1995, S. 328).

Henning von Tresckow, neben Stauffenberg einer der führenden Köpfe des militärischen Widerstande, war von dem Feldmarschall tief enttäuscht. Seinem Freund Fabian von Schlabrendorff berichtete er von seinem letzten Gespräch:

„Manstein hat alles verstanden. Er sieht es sogar ein. Er hat am ganzen Leib gezittert, als ich ihm gesagt habe, wir werden unsere Untätigkeit vor dem Richterstuhl Gottes nie vertreten können. Wir haben nicht die Entschuldigung, Unteroffiziere gewesen zu sein. Der Offizier steht – Fahneneid hin – Fahneneid her – über dem Befehl.“ (Schlabrendorff, 1979, S. 224 f.).

Mansteins Adjutant Alexander Stahlberg wurde 1943 vom Oberquartiermeister der Heeresgruppe, Eberhard Finckh, über die Massenerschießung von Juden hinter der Front informiert. Stahlberg unterrichtete den Generalfeldmarschall, der diese Behauptung als Gerücht zurückwies. Auf Drängen seines Adjutanten erklärte er sich bereit, mit Finckh zu sprechen. Der Oberst erhielt einen Termin. Stahlberg war bei der Unterredung nicht zugegen, machte sich aber keine Illusionen über die Konsequenzen (vgl. Stahlberg 1994, S. 345). Finckh, der sich dem Widerstand angeschlossen hatte und zu den Verschwörern des 20. Juli zählte, wurde vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 30. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Da der Kriegsverlauf nach Stalingrad zumindest drohende Schatten an die Wand warf, war für die Generalität 1943 nationale Geschlossenheit das Gebot der Stunde. Alles musste getan werden, um ein zweites Versailles zu verhindern und die bereits sicher geglaubte Vormachtstellung in Europa zu bewahren. Manstein vertrat die Ansicht, dass „ein Krieg ja erst verloren sei, wenn man ihn selbst verloren geben müsse.“ (Stahlberg, 1994, S. 344). Dazu sah er 1943/44 keine Veranlassung. Den verbrecherischen Charakter des Regimes ignorierte er. Hier machten sich die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg bemerkbar. Als sein Ordonnanzoffizier Alexander Stahlberg ihm über Massaker der SS berichtete, tat er die Nachricht als Feindpropaganda ab, wie er sie im Ersten Weltkrieg erlebt hätte. Gleichzeitig überschätzte er wie viele Militärs seine Einflussmöglichkeiten auf Hitler: „All diese Leute (gemeint sind die Generäle, die Verfasserin)“, wunderte sich Ulrich v. Hassel, ein rechtskonservativer Diplomat am 15. August 1943 in seinem Tagebuch, „machen sich nicht klar, dass Hitlers Parole ist, Deutschland mit sich in den Abgrund zu reißen, wenn ihm der Erfolg versagt bleibt.“ (Hiller von Gaertringen, 1988, S. 383). Der Historiker Eberhard Schwarz wertet Mansteins Haltung 1943/44 als Beleg dafür, „wie fremd ihm die Psyche Hitlers letztlich geblieben ist.“ (Schwarz, 1985, S. 51). Wolfgang Benz, bis 2011 Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, bezeichnet das Verhalten des Offiziers dagegen als „politisch töricht“ (Benz, 2018, S. 423). Fabian von Schlabrendorff, ein Offizier, der dem Widerstand angehörte, kommt aus der Warte des Zeitzeugen zu einem ähnlichen Urteil: Manstein „war ein bedeutender Soldat, aber ohne politischen Horizont.“ (Schlabrendorff, 1979, S. 224).

Die Frage, ob Erich von Manstein wirklich der geniale Stratege war, wird unbeantwortet bleiben müssen. Als Befehlshaber einer Heeresgruppe zählt er zu den herausragenden Truppenführern des Zweiten Weltkrieges. Bis zuletzt hielt er an der Fiktion fest, die Wehrmacht hätte mit den Verbrechen des NS-Regimes nichts zu tun gehabt und leugnete seine Verantwortung für Kriegsverbrechen. So verkörperte er fast idealtypisch die Stärken und Schwächen einer militärischen Elite, die Mitverantwortung trägt für das wohl dunkelste Kapitel deutscher Militärgeschichte.

 

Zum Thema siehe auch:

(Deutschland in der Defensive — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de).

Ein Beitrag über die militärische Lage Deutschlands 1943.

Hitlers engster militärischer Berater — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

Ein Beitrag über den Chef des Wehrmachtführungsstabes, Generaloberst Alfred Jodl.

 

Weiterführende Informationen:

LeMO Biografie – Biografie Erich von Manstein (dhm.de)

 

Gedruckte Quellen:

Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Band 7, Teil 2, Diktate 1941 – 1945, Januar – März 1943, München, New Providence, London, Paris 1993

Helmut Heiber (Hrsg.), Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 1942 – 1945, Stuttgart 1962

Friedrich Hiller von Gaertringen (Hrsg.), Die Hassel-Tagebücher 1938 bis 1944. Aufzeichnungen vom Anderen Deutschland, Berlin 1988

Horst Mühleisen (Hrsg.): Hellmuth Stieff, Briefe, Berlin 1991

Ralf Georg Reuth (Hrsg.): Joseph Goebbels Tagebücher 1924 – 1945, Band 5, 3. Aufl., München, Zürich 2003

 

Literatur (eine Auswahl):

Nicolaus von Below, Als Hitlers Adjutant 1937 – 1945, Mainz 1980

Wolfgang Benz, Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler, München 2018

Michael Epkenhans, John Zimmermann, Die Wehrmacht – Krieg und Verbrechen, Stuttgart 2019

Karl-Heinz Frieser, Die Rückzugsoperationen der Heeresgruppe Süd in der Ukraine, in: ders. (Hrsg.): Die Ostfront. Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten, München 2007, S. 339 – 450

Rudolph-Christoph Frhr. von Gersdorff, Soldat im Untergang, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1977

Andreas Hillgruber, Generalfeldmarschall Erich von Manstein in der Sicht des kritischen Historikers, in: Ursula von Gersdorff (Hrsg.): Geschichte und Militärgeschichte, Frankfurt/M. 1974, S. 349-362

David Irving, Hitler und seine Feldherren, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1975

Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 2004

Erich von Manstein, Verlorene Siege, Bonn 1955

Rüdiger Manstein, Theodor Fuchs, Manstein. Soldat im 20. Jahrhundert. Militärisch-politische Nachlese, München 1981

Bernd Martin, Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg. Vom Angriff auf Pearl Harbour bis zur deutschen Kapitulation, Hamburg 2001

Eberhard Schwarz, Die Stabilisierung der Ostfront nach Stalingrad. Mansteins Gegenschlag zwischen Donez und Dnjepr im Frühjahr 1943, Göttingen, Zürich 1985

Fabian von Schlabrendorff, Begegnungen in fünf Jahrzehnten, 2. Aufl., Tübingen 1979

Albert Seaton, The German Army 1933-1945, London 1982

Albert Seaton, Der russisch-deutsche Krieg 1941-1945, Frankfurt/M. 1973

Enrico Syring, Erich von Manstein – Das operative Genie, in: Roland Smelser, Enrico Syring, (Hrsg.)., Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen, Berlin, Frankfurt/M. 1995, S. 325 – 348

Alexander Stahlberg, Die verdammte Pflicht, Erinnerungen 1932 bis 1945, 4. Aufl., Berlin, Frankfurt/M. 1994

Oliver von Wrochem,  Erich von Manstein. Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik (= Krieg in der Geschichte, Band 27). Schöningh, Paderborn 2006

 

Der Beitrag wurde am 4. April 2021 überarbeitet.