Dr. Katharina Kellmann

Daniel Sternal und der Mythos Rommel

Daniel Sternal veröffentlichte 2017 unter dem Titel “Ein Mythos wankt. Neue Kontroverse um den ‘Wüstenfuchs’ Erwin Rommel” im Kugelberg Verlag seine Examensarbeit, mit der er 2016 an der Universität Tübingen den akademischen Grad eines Bachelors im Fach Geschichte erwarb. Die Arbeit erhielt einen Förderpreis der Universität Tübingen.

Er gliedert seine Arbeit in sieben Teile. Zuerst beleuchtet er die militärische Laufbahn Rommels und gibt einen Überblick über das Rommelbild der Gegenwart. Ein Exkurs über die Aufgaben des Zeithistorikers leitet dann zum umfangreichsten Kapitel über, indem sich Sternal mit der Rolle Rommels im deutschen Widerstand beschäftigt. Am Schluss zeichnet er die Kontroverse um die Neugestaltung des Rommel-Mahnmals in Heidenheim nach und skizziert Aufgaben der künftigen Rommel-Forschung.

Sternal beschreibt zuerst, wie es zum “Mythos” Rommel kam. Der Generalfeldmarschall wurde in den ersten Nachkriegsjahren zur Projektionsfigur für den “guten Deutschen”, der im NS-Regime “sauber” geblieben war. Erwin Rommel passte zur “sauberen Wehrmacht”, einem Zerrbild, das in der Nachkriegszeit in England und den USA bereitwillig unterstützt wurde, war man doch in London und Washington an einem deutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas interessiert. Die Bundeswehr konnte nur mit ehemaligen Soldaten der Wehrmacht aufgebaut werden, die über Einsatzerfahrungen im Kampf gegen die Rote Armee verfügten.

Dann erläutert Sternal sein Verständnis von Zeitgeschichte und kritischer Geschichtswissenschaft. Er betont, dass Historiker nicht im luftleeren Raum leben und arbeiten, sondern gerade bei zeitgeschichtlichen Themen den Einflüssen der Gesellschaft ausgesetzt sind. Auch darin kann ich Sternal nur zustimmen: die fehlende zeitliche Distanz zur NS-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg erschien der historischen Zunft nach 1945 problematisch. Gerhard Ritter, einer der führenden Vertreter des Faches, legte 1954 mit seiner Biographie über den Widerstandskämpfer Carl Friedrich Goerdeler ein Standardwerk dieser noch jungen Teildisziplin vor, das beispielhaft zeigt, wo Möglichkeiten und Gefahren der Zeitgeschichte liegen. Bodo Scheurig veröffentlichte 1962 eine “Einführung in die Zeitgeschichte”, die immer noch lesenswert ist. Stattdessen zitiert Daniel Sternal den Philosophen Hegel (1770 bis 1831). Ein passendes Zitat aus Goethes Faust fehlte wohl.

Sternal beschränkt sich darauf, aus einem Interview mit Peter Steinbach zu zitieren, einem der führenden Experten zum Thema Widerstand in Deutschland. Steinbach kritisiert mangelnde Quellenkritik und ein allzu großes Vertrauen in Zeitzeugen. Das sind die Schwachpunkte zeitgeschichtlicher Forschung, aber Historiker lernen auch, wie man damit umgeht. Bei Sternal wird daraus ein volkspädagogisches Konstrukt zur Entlarvung apologetischer Wehrmachtsmythen. Nicht selten verfällt er in Schwarz-Weiß-Malerei; es gibt nur die Unterscheidung zwischen Rommel-Apologeten wie Maurice Remy, Cornelia Hecht oder Peter Lieb und den Aufklärern wie Wolfgang Proske oder Ralf Georg Reuth, die sich dezidiert kritisch zu Rommel äußern. Denn Historiker, die Rommel zum Widerstand rechnen, sind, so Sternal, “interessengeleitet”.

Die nicht unerheblichen Schwächen der Arbeit werden deutlich in den Kapiteln 5.1 und 5.2.

In Kapitel 5.1 geht es um ein Gespräch zwischen Oberstleutnant Caesar von Hofacker und Generalfeldmarschall Erwin Rommel, eine zentrale Quelle bei der Beurteilung der Frage, ob Rommel zum Widerstand gerechnet werden kann. Die “apologetische Rommelliteratur” hätte unkritisch die These aufgestellt, dass das geplante Attentat erörtert worden sei.

Dass es kein Gesprächsprotokoll gibt, ist insofern richtig, als dass bis jetzt in nachgelassenen Papieren Hofackers und Rommels keine entsprechenden Dokumente gefunden worden sind. Allerdings ist Sternal ein Aufsatz von Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen über Caesar von Hofacker entgangen, der 1995 in einem Sammelband über den 20. Juli 1944 in Paris erschienen ist: Dort ist die Rede von einem Gedächtnisprotokoll, dass 1945 der Freiherr von Falkenhausen, ein Freund Hofackers, veröffentlichte. Dieser Aufzeichnung kann man entnehmen, dass Rommel nach einem geglückten Attentat “das Seinige tun wollte, um den Plänen zum Siege zu verhelfen” (1). Hofackers Aussage wird gestützt von Bernd Gisevius, einem Zeitzeugen, der von dem Rommel-Kritiker Ralf-Georg Reuth gerne zitiert wird. In seinem Buch “Bis zum bitteren Ende” berichtet Gisevius von einem Gespräch mit General Beck am 13. Juli 1944 in Berlin. Beck hatte anscheinend Kenntnis von der Unterredung zwischen Hofacker und Rommel und war erbost über die Art und Weise, wie sich der “einst so überzeugte Nazi” (gemeint war Rommel, die Verfasserin) nun dem Ruf nach dem Attentat anschloss (2). Das Buch von Gisevius fehlt ebenfalls in der Literaturliste.

Stattdessen beruft sich Sternal auf Steinbach:

“Natürlich habe Hofacker versucht, Rommel zu beeinflussen. Aber deshalb habe er ihn nicht gewonnen und nur weil Hofacker mit Rommel darüber gesprochen habe, gehöre er nicht zum engen Kern des Widerstands. Der Widerstand habe mit Rommel rechnen müssen, aber er sei nicht die treibende Kraft gewesen.”(3)

Also gehörte Rommel doch zum Widerstand? Und dass der Generalfeldmarschall die treibende Kraft gewesen wäre, wird auch von den angeblichen “Rommel-Apologeten” nicht behauptet.

Ähnlich unsystematisch geht Sternal mit einer anderen zentralen Quelle um. Es handelt sich um eine Wiedergabe eines Gesprächs zwischen mehreren deutschen Generälen in britischer Gefangenschaft. General Eberbach behauptete, dass Rommel mit dem geplanten Attentat auf Hitler einverstanden gewesen sei.

Auch diese Aussage ist quellenkritisch zu würdigen: Wusste Eberbach, dass die Militärs unter Beobachtung standen? Wollte er sich nur wichtigmachen? Der Potsdamer Historiker Sönke Neitzel hat die Protokolle in seinem Buch “Abgehört” herausgegeben. In der Einleitung nahm er zum Quellenwert Stellung und verneinte dabei die Frage, ob die Offiziere mit der Möglichkeit des “Mithörens” rechneten (4). Auch diese Feststellung ist nicht in Stein gemeißelt; Sternal hätte sie argumentativ widerlegen können. Stattdessen bemüht er den Historiker Wolfgang Proske. Proske hielte es für fragwürdig zu glauben, man würde als General in Gefangenschaft nicht abgehört. Dann zitiert er Proske (in dessen Verlag auch die Bachelorarbeit erschien) mit den Worten:

“Zum anderen wäre es nach Proske überhaupt nicht sensationell, wenn Rommel tatsächlich gewollt hätte, dass Hitler wegkomme, das hätten die Offiziere zu diesem Zeitpunkt alle gewollt.”(5)

Man sollte schon wissen, auf wen man sich beruft. Eine grundlegende Arbeit von Wolfgang Proske über das Offizierkorps der Wehrmacht ist nicht bekannt. In der Fußnote benennt Sternal nur ein Interview mit Proske als Quelle. Wo sind also die Veröffentlichungen von Wolfgang Proske? Die Aussage, alle Offiziere hätten im Sommer 1944 die Beseitigung oder Absetzung Hitlers gewünscht, ist falsch und widerspricht eindeutig dem Forschungsstand. Zu diesem Zeitpunkt gab es bis in die höheren Ränge des Offizierkorps immer mehr fanatische Anhänger des Regimes.

Solche Passagen sind es, die den wissenschaftlichen Charakter der Arbeit in Abrede stellen. Dabei benutzt Sternal häufig den Begriff Quellenkritik, doch macht er so gut wie nie davon Gebrauch. Deutlich wird auch, dass Sternal wenig von Widerstandsgeschichte und Militärgeschichte versteht. Dass er aus dem Oberleutnant Rommel einen Oberstleutnant macht, mag als Flüchtigkeitsfehler, der in jedem Buch vorkommen kann, durchgehen. Die grundlegenden Arbeiten von Manfred Messerschmidt und Klaus-Jürgen Müller, mit denen Ende der Sechziger die kritische Aufarbeitung der Rolle der Streitkräfte im NS-Regime begann, kennt er nicht. Fast schon grotesk wirkt der Vorwurf an Remy, dieser hätte kein Geschichtsstudium absolviert. Sternal beweist unfreiwillig, dass auch ein Geschichtsstudium nicht unbedingt dazu führt, dass man wie ein Historiker argumentieren kann. Warum eine solche Qualifikationsarbeit mit einem Förderpreis ausgezeichnet werden konnte, ist mir ein Rätsel.

Generalfeldmarschall Erwin Rommel war kein makelloser Held. Das unkritische Bild von Rommel, das bis in die Sechziger vermittelt wurde, musste überwunden werden. Eine Tendenzhistorie, die mit pseudowissenschaftlichen Methoden arbeitet, hilft aber nicht weiter.

Auf der Rückseite des Buches wird ein neues Buch von Daniel Sternal zur NS-Täterforschung angekündigt. Es bleibt zu hoffen, dass er sich dann an die im Fach Geschichte üblichen Standards hält.

Daniel Sternal, Ein Mythos wankt. Neue Kontroverse um den „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel, Gerstetten 2017 (Kugelberg Verlag)

Ergänzung vom 4. Mai 2023

Herr Sternal antwortete der Verfasserin am 4. Mai 2023 in einer privaten Mail. Normalerweise veröffentliche ich keine privaten Mails meiner Leser. Da die Mail von Herrn Sternal weder in die Privat- noch die Intimsphäre, sondern in die Sozialsphäre fällt, veröffentliche ich sie hier ungekürzt und unverändert:
„Guten Tag Frau Kellmann,

es ist bemerkenswert, dass Sie sich sechs Jahre nach Veröffentlichung und diversen
Rezensionen berufen fühlen, erneut eine öffentliche Einschätzung zu meiner publizierten
BachelorArbeit abzugeben.
Wenn es hier nicht so sehr nach bezahlter Auftragsarbeit stinken würde, hätte ich gesagt,
dass Sie spät dran sind.
Während beispielsweise Herr Lieb seinem akademischen Grad entsprechend seine
Diskreditierung beiläufig in einem Nebensatz in der Fußnote verpackt und wissenschaftlich
daran arbeitet, seine Position mit neuen Erkenntnissen zu bereichern, empfinde ich Ihre
„Rezension“ im Gegenteil verkürzt und an vielen Stellen einfach plump und beleidigend.
Was würde es bedeuten, wenn Sie mit Ihrer abwertenden Einschätzung recht haben? Dann
hätten Sie vermutlich einen handfesten Skandal aufgedeckt: Die Professoren Weber, Wette
und auch das Gremium des Förderpreises sind in Wahrheit alle vollblind und ich habe meine
Studienabschlüsse nur durch Würfelglück erhascht.
Wenn sie wirkliches Interesse daran haben, die Position von Herrn Proske zu Rommel zu
verstehen, dann lesen Sie die drei publizierten Aufsätze in seiner Buchreihe, statt ihm
ebenso plump die Legitimation abzusprechen. In der THTBuchreihe haben mittlerweile über
200 Autoren mitgewirkt, das Land BadenWürttemberg hat das Projekt ausgezeichnet. Wie
lange will man sich also noch künstlich darüber echauffieren, dass sich Akademiker
verschiedenster Fachrichtungen wissenschaftlich auch mit Themen der Militärgeschichte
auseinandersetzen?
Sie sind promovierte Historikerin, zeigen Sie mal ein bisschen Klasse. Statt die Arbeiten
anderer in den Dreck zu ziehen, ist es vielleicht sinnstiftender wieder vermehrt in Archive zu
gehen und der Forschung neue Erkenntnisse zu präsentieren?
Nehmen wir hier als Beispiel Hans Speidel, aus dessen Memoiren Sie in ihrem Aufsatz „Erwin
Rommel und der 20. Juli 1944“ voller Vertrauen vielfach Inhalte in Wirklichkeitsform
präsentieren.
Speidel erwähnte in seinen Memoiren die Vernichtung der Juden mit keinem Wort. 1967 von
deutschen Justizbehörden zu seiner Arbeit in Frankreich befragt, leugnete er die Beteiligung
an antijüdischen Maßnahmen:
Speidel: „Alle die Dinge, die mit der Judenfrage damals zusammenhingen, gehörten nicht
zum Aufgabengebiet des Kommandostabes, sondern waren ausschließlich Sache des
Verwaltungsstabes.“
Bei seiner Vernehmung behauptete Speidel sogar, er habe erst nach 1945 vom Judenmord
erfahren. Wenn Sie allerdings Akten im BundesarchivMilitärarchiv Freiburg auswerten,
werden Sie das Gegenteil feststellen. Speidel hat gelogen, sein Kommandostab war in zwei
der verbrecherischen Kernbereiche des NSRegimes verstrickt: in die massenhaften
Geiselerschießungen als Vergeltungsakte auf Attentate der Résistance und die eskalierende Verfolgung und die beginnenden Deportationen von Juden aus Frankreich in das Vernichtungslager Auschwitz.

Für ein erstes stark belastendes Indiz, dass Speidel in die Organisation des ersten Deportationszuges aus Frankreich nach Auschwitz involviert war, müssen Sie nicht mal einen Fuß in ein Archiv setzen, Frau Kellmann. Serge Klarsfeld hat dieses kleine Dokument bereits 1977 veröffentlicht.

Bis ich meine Archivforschungen in ein paar Jahren abgeschlossen habe, können Sie gerne
weiterhin den Memoirenschreibern das Wort reden. Sie können auch künftig ignorieren,
dass Speidel vermutlich bewusst RommelBilder produziert hat, um sich selbst und seinen
Kameraden Entlastung zu verschaffen.
Ich bin mir sicher, dass Sie es nach einer Publikation dann auch schaffen werden, nicht erst
nach Jahren aufzutauchen um mit Steinen zu werfen, sondern zu den Kritikern der ersten
Stunde gehören werden.
Bis dahin wünsche ich Ihnen eine sinnstiftende Zeit und alles Gute!
Daniel Sternal“

 

Dazu erkläre ich, dass die Buchbesprechung – wie alle anderen Beiträge auf dieser Website auch – ohne Honorar geschrieben wurde. Ich bleibe bei meiner Behauptung, dass es von Herrn Dr. Proske keinen nennenswerten Forschungsbeitrag zur Mentalitätsgeschichte des deutschen Offizierkorps gibt. Ferner stelle ich fest, dass Herr Sternal keine Gründe vorträgt, die mich dazu veranlassen, auch nur ein Wort der Rezension zu verändern oder zu streichen.

Nachweise:

(1) Friedrich Freiherr von Gaertringen, “Sie sollten jetzt schweigen, Herr Präsident” – Oberstleutnant d. R. Cäsar von Hofacker, in: Bengt von zur Mühlen/Frank Bauer (Hrsg.): Der 20. Juli in Paris. Verlauf – Hauptbeteiligte – Augenzeugen, Berlin 1995, S. 41 – 60, hier: S. 54f.

(2) Hans Bernd Gisevius, Bis zum bitteren Ende. Bericht eines Augenzeugen aus den Machtzentren des Dritten Reiches, München, Zürich 1982, S. 346

(3) Daniel Sternal, Ein Mythos wankt. Neue Kontroverse um den ‘Wüstenfuchs’ Erwin Rommel, Gerstetten 2017, S. 27 f.

(4) Vgl. Sönke Neitzel, Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Gefangenschaft 1942 – 1945, 8. Aufl., München 2020, S. XV

(5) Daniel Sternal, Ein Mythos wankt. Neue Kontroverse um den ‘Wüstenfuchs’ Erwin Rommel, Gerstetten 2017, S. 31

Weiterführende Informationen:

https://kugelbergverlag.de/taeter-helfer-trittbrettfahrer
Internetpräsenz des Kugelberg Verlages

https://katharinakellmann-historikerin.de/erwin-rommel-und-der-20-juli-1944/