Dr. Katharina Kellmann

Erwin Rommel und der 20. Juli 1944

Gehörte Generalfeldmarschall Erwin Rommel zum Widerstand gegen das NS-Regime? Diese Frage wird im Geburtsort des Generalfeldmarschalls, Heidenheim an der Brenz, intensiv diskutiert. 1961 widmete ihm die Stadt ein Mahnmal, das entsprechend dem damaligen Zeitgeist Rommel als Opfer des Nationalsozialismus idealisierte.

Dagegen wandte sich 2010 die Heidenheimer „Geschichtswerkstatt“. Sie forderte, das Mahnmal abzureißen und stattdessen einen Widerstandskämpfer zu ehren. Der Stadtrat lehnte einen Abriss ab. Man einigte sich auf eine Neugestaltung: 2020 wurde der Gedenkstein durch eine Skulptur ergänzt, die ein Landminenopfer darstellen soll. Sie steht für alle Menschen, die Opfer der Minen wurden (und noch werden können), die die deutschen Truppen in Nordafrika im Zweiten Weltkrieg verlegt haben.

„Antifaschismus“ in Heidenheim: Das alte Mahnmal von Erwin Rommel wurde mehrmals beschmiert (Foto von Fritz Gerlach).

Teil des Neuordnungskonzepts ist eine Internetpräsenz, die von dem Geschichtslehrer Wolfgang Proske und der Heidenheimer Geschichtswerkstatt beeinflusst wurden. In ideologisch einseitiger Form ignoriert die Webpräsenz den Forschungsstand zum Thema Rommel. Die in der Fachwelt sehr umstrittenen Arbeiten von Wolfgang Proske und Daniel Sternal werden als „Gold-Standard“ gehandelt – die Veröffentlichungen von renommierten Historikern wie Sönke Neitzel und Winfried Heinemann werden anscheinend bewusst von der Stadtverwaltung ignoriert (zur Kritik an Proske und Sternal in der Forschung siehe: Schweizer, Lieb 2019: 71). Ein grundlegender Aufsatz von Peter Lieb erscheint zwar auf der Literaturliste; gelesen hat man ihn offenbar nicht.

Auch in der Stadtöffentlichkeit erregt das Thema die Gemüter. Ein Heidenheimer Kritiker des Mahnmals fand in seinem Briefkasten einen anonymen Drohbrief vor.

Erwin Rommel im Urteil der Historiker und der historischen Publizistik

Auch Historiker diskutieren die Rolle von Erwin Rommel kontrovers. Die Einordnung des Generalfeldmarschalls in die Geschichte des Widerstandes hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Wie bewertet man die Quellenlage, was besonders bei Aussagen von Zeitzeugen problematisch ist und was versteht man unter Widerstand? Gehören zum Widerstand nur Menschen, die Hitler unter Einsatz ihres Lebens töten wollten oder zählen dazu auch diejenigen, die – ob in vorderster Linie oder in zweiter Reihe durch unterstützendes Handeln – den Machtanspruch des NS-Regimes begrenzen wollten? (zur Problematik des Widerstandsbegriffs siehe Benz 2018:19; Klemperer, Syring, Zitelmann, 2006: 16; Heinemann 2020: 9; Steinbach 2004: 8).

Hinzu kommt, dass die Erinnerung an den 20. Juli sehr stark zeitgebunden war und ist (vgl. Steinbach 1994: 597). Unmittelbar nach Kriegsende galten Widerstandskämpfer als Hoch- und Landesverräter. 1954 würdigte Bundespräsident Theodor Heuss die Männer um Stauffenberg. In den nächsten Jahren entwickelte sich der 20. Juli zu einem positiven Bezugspunkt der deutschen Erinnerungskultur. Mitte der Sechzigerjahre plädierten Historiker wie Hans Mommsen oder Hermann Graml für eine kritische Einordnung der Ziele des nationalkonservativen Widerstands. In den nächsten Jahren widmete sich die Forschung verstärkt der Erforschung anderer Widerstandsgruppen und Widerstandsformen. Wolfgang Altgeld beklagte 1984, dass das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zu wenig Beachtung fände (vgl. Altgeld 1984: 382). Mittlerweile scheint Konsens darüber zu bestehen, dass Einzeltäter wie Georg Elser gleichberechtigt neben dem Grafen Stauffenberg stehen.

Auch die Einordnung der Rolle der Wehrmacht hat sich stark verändert. Bis in die Sechzigerjahre hinein dominierte in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft das Bild von der „sauberen Wehrmacht“, die mit den Verbrechen des Regimes nichts zu tun gehabt hätte. Historiker wie Manfred Messerschmidt oder Klaus-Jürgen Müller legten Ende der Sechzigerjahre grundlegende Arbeiten über das Verhältnis von Wehrmacht und Nationalsozialismus vor, die das Bild vom „unbefleckten Ehrenschild“ revidierten. Die umstrittene Wehrmachtsausstellung des Hamburger Reemtsma-Instituts veränderte in den Neunzigerjahren den Blick der Öffentlichkeit auf die Rolle der deutschen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg weiter. Schlagwörter wie „Naziwehrmacht“ wurden in der Mitte der Gesellschaft salonfähig.

Diese ‚Konjunkturen‘ hatten auch Einfluss auf die Bewertung Rommels. 1949 veröffentlichte Hans Speidel, 1944 Chef des Generalstabes der von Rommel geführten Heeresgruppe B, ein Buch über die Invasion. Im Untertitel hieß es: „Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal“. Speidel versuchte, das Bild einer „sauberen Wehrmacht“ zu zeichnen, die mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun gehabt hätte, und einer Armee, die trotz ihrer großen Professionalität scheiterte, weil Adolf Hitler als unfähiger Oberster Befehlshaber den Militärs ins Handwerk pfuschte. Speidel stellte die Nähe Rommels zum Widerstand heraus. Sein Buch sollte lange Zeit das Bild des Feldmarschalls in der Öffentlichkeit prägen (vgl. Lieb 2013: 329). Der Erkenntniswert ist unter Historikern mittlerweile umstritten, was beispielsweise den Ablauf des 20. Juli im Hauptquartier der Heeresgruppe B angeht (vgl. Ose 1984: 267). 1950 wartete Desmond Young, ein britischer Offizier, mit einer Biografie zu Rommel auf, die den Feldmarschall als militärischen Führer würdigte und ihn in die Nähe zum Widerstand rückte.  Vizeadmiral Friedrich Ruge, der 1944 zum Stab von Generalfeldmarschall Rommel gehörte, legte 1959 ein Buch über die Invasion vor, dass u. a. auf seinen Tagebuchnotizen aus dieser Zeit beruhte. Darin wird deutlich, dass sich der Generalfeldmarschall im Frühsommer 1944 immer mehr vom NS-Regime distanzierte. Der Historiker Peter Hoffmann kam 1969 in seinem Standardwerk „Staatsstreich, Widerstand, Attentat“ zu ähnlichen Schlussfolgerungen.

1978 legte David Irving eine Biografie über Rommel vor, die das Rommel-Bild nachhaltig beeinflussen sollte. Irving hatte sich mit seinen ersten Veröffentlichungen über den Zweiten Weltkrieg und Adolf Hitler als unkonventioneller Außenseiter einen Namen gemacht, dessen Bücher von der Forschung immerhin beachtet und diskutiert wurden. Seine Rommel-Biografie wurde im Magazin „Spiegel“ auszugsweise vorabgedruckt.

Reinhard Stumpf billigte Irving zwar zu, zum Thema Rommel und Widerstand „gründlich recherchiert“ zu haben, meldete jedoch starke Vorbehalte an, da Irvings Neigung zu überspitzten Thesen eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Feldmarschall zum Widerstand gehörte, nicht zuließen (Stumpf 1995: 139). Peter Lieb, der 2013 einen grundlegenden Aufsatz zum Thema Rommel und der Nationalsozialismus vorgelegt hatte, kritisierte die vielen Zeitzeugen-Interviews, den fehlenden Anmerkungsapparat und äußerte die Vermutung, es sei Irving „auch hier um Provokation gegangen“ (Lieb 2013: 330).

Dieter Ose kam 1984 in einer biografischen Skizze über Erwin Rommel zu dem Ergebnis:

„Rommel kann nicht voll zum Widerstand hinzugezählt werden. Eher ist er in einer Art ‚Grauzone‘ anzusiedeln, deren Zugehörigkeit zum Widerstand umstritten ist“ (Ose 1984: 267).

Ose veröffentlichte seinen Beitrag in einem Sammelband, den Rudolf Lill und Heinrich Oberreuter 1984 herausgaben. In einer Neuausgabe aus dem Jahr 1994 fehlt der Aufsatz von Dieter Ose. Allerdings taucht der Name Rommel am Ende in einem Register über „Personen, die dem Widerstand angehörten“ auf (Lill, Oberreuter 1994: 589). Peter Steinbach, einer der führenden Experten zum Thema Widerstand, ließ Rommel 1998 aus einem biografischen Lexikon über die Opposition gegen Hitler streichen (vgl. Lieb 2013: 331).

2002 brachte der Dokumentarfilmer Maurice Remy ein Buch mit dem Titel „Mythos Rommel“ heraus, das den Feldmarschall dem Widerstand zurechnete. Drei Jahre später meldete sich Ralf-Georg Reuth zu Wort, neben David Irving der stärkste Kritiker des Feldmarschalls im publizistischen Bereich. Reuth verrät schon im Untertitel, worum es ihm geht: „Das Ende einer Legende“. Der Mythos Rommel ist für ihn das Ergebnis der nationalsozialistischen Propaganda, sein erzwungener Freitod ein Missverständnis, der zu einer „Rommel-Legende“ beigetragen hätte. Nach 1945 wäre der Feldmarschall weiter zum Lieblingsthema von Geschichtspolitikern wie Hans Speidel geworden und hätte als ideale Projektionsfigur für die „saubere Wehrmacht“ herhalten müssen. Für Peter Lieb zählte Rommel 2013 dagegen zum „militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ (Lieb 2013: 343). Daniel Sternal verneinte 2017 in der gedruckten Fassung seiner Bachelor-Arbeit eine Zugehörigkeit Rommels zum Widerstand mit allerdings fragwürdigen Argumenten (Sternal 2017: 31; Daniel Sternal und der Mythos Rommel — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de.).

Wolfgang Benz vertrat 2018 in einer Überblicksdarstellung über den Widerstand die These, der Feldmarschall sei „unverdient“ in den Ruf eines „Widerstandskämpfer(s)“ gekommen (Benz 2018: 424). Winfried Heinemann plädierte 2020 in „Unternehmen Walküre“, einer „Militärgeschichte des 20. Juli 1944“ dafür, Rommel dem Widerstand zuzuordnen (Heinemann 2020: 277).

Die militärische Laufbahn Rommels bis 1944

Erwin Rommel wurde am 15. November 1891 in Heidenheim an der Brenz geboren. Nach dem Abitur schlug er die Laufbahn eines Berufsoffiziers ein. Im Ersten Weltkrieg erhielt er hohe Tapferkeitsauszeichnungen.

Rommel wurde in die Reichswehr übernommen. Der Sprung in den Generalstab blieb ihm versagt. Die schon in der Schlussphase der Weimarer Republik begonnene Heeresvermehrung begünstigte die Karriere von Erwin Rommel. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er zum Generalmajor befördert. Den Angriffskrieg gegen Polen erlebte er als Kommandant des „Führerhauptquartiers“. Im Frankreichfeldzug führte er die 7. Panzerdivision; am 26. Mai 1940 wurde er mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.

Hitler wollte Generäle ohne Generalstabsausbildung fördern. Was in den Augen anderer hoher Offiziere ein Makel war, spielte für den Diktator keine Rolle (vgl. Below 1980: 239). Als Generalleutnant übernahm Rommel am 27. Februar 1941 den Oberbefehl über das Afrikakorps. Es sollte die italienischen Verbündeten in Libyen unterstützen. In Nordafrika bewies Rommel außerordentliche Führungsqualitäten. Mit unterlegenen Kräften versetzte er den Briten empfindliche Schläge (vgl. Feuersenger 2001: 69, TB vom 19. April 1941). Nach der Eroberung der Festung Tobruk im Juni 1942 wurde er zum Generalfeldmarschall befördert.

Sein Führungsstil galt als unkonventionell. Er leitete die militärischen Operationen nicht von einem Stabsquartier aus, sondern fuhr an die Front, wo er manchmal das Kommando übernahm. Im Generalstab des Heeres beobachtete man mit großem Misstrauen die Rolle Rommels in Nordafrika. Er galt in der Generalität als „Außenseiter und Emporkömmling“ (Ose 1984: 259). Der Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, unterstellte ihm „krankhaften Ehrgeiz“ (zitiert nach: Hartmann 1991: 262). Zweifellos war Erwin Rommel eitel. Die nationalsozialistische Propaganda berichtete ausführlich über die Erfolge des kühnen Truppenführers, der schnell zum volkstümlichsten Offizier des Heeres aufstieg (vgl. Remy 2002: 75). Nur Jagdflieger oder U-Bootkommandanten waren ähnlich populär.

Die zweite Schlacht bei El-Alamein Anfang November 1942 brachte die Wende auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz. Gegen die zahlenmäßige Übermacht der Engländer vermochten die deutsch-italienischen Streitkräfte nichts auszurichten. Rommel teilte dem „Führerhauptquartier“ mit, dass er seine Truppen zurücknehmen wollte. Hitler befahl dem Feldmarschall, die Soldaten müssten jeden Fußbreit Boden verteidigen. Am 4. November 1942 ordnete Rommel dennoch den Rückzug (vgl. Fraser 1995: 364).

Die Niederlage bei El-Alamein löste bei Erwin Rommel starke Zweifel an Hitler aus (vgl. Ose 1984: 262). Gegenüber einem Offizier soll der Generalfeldmarschall geäußert haben, der Krieg sei verloren, Deutschland benötige einen Waffenstillstand (vgl. Fraser 1995: 364). Am 28. November flog Rommel nach Rastenburg in das „Führerhauptquartier“ und schlug Hitler vor, den Kriegsschauplatz Nordafrika zu räumen. Der Diktator war über das Erscheinen des Feldmarschalls erbost und lehnte den Vorschlag ab (vgl. Fraser 1995: 369). Am 2. Dezember 1942 kehrte Rommel zu seinen Truppen zurück.

Hitler bezweifelte jedoch fortan dessen Führungsqualitäten. In einer Besprechung mit seinen militärischen Ratgebern äußerte er am 12. Dezember, „Rommel hat absolut die Nerven verloren“ (Heiber 1962: 59). Es gelang dem Feldmarschall, die Reste seiner Truppen trotz der gegnerischen Überlegenheit durch einen geschickt geführten Rückzug zu retten. Das italienische Oberkommando machte Rommel für den Verlust Libyens verantwortlich und stellte am 22. Februar 1943 den Antrag, ihn abzuberufen, was Hitler mit Rücksicht auf Rom auch tat (vgl. Bradley, Schulze-Kossens 1984: Bl. 50). Am 9. März 1943 flog Erwin Rommel nach Deutschland zurück.

Nach einem Genesungsurlaub meldete er sich am 9. Mai 1943 bei Hitler in Berlin. Der Diktator schien bestrebt, das alte Vertrauensverhältnis wieder herzustellen. Der Feldmarschall hielt sich in den nächsten Wochen im „Führerhauptquartier“ auf, wo er Hitler täglich bei den Lagebesprechungen sah. David Fraser kommt in seiner Biografie zu dem Schluss, dass Rommel in dieser Zeit „zweifellos ein weiteres Mal der Faszination Hitlers erlegen“ wäre (Fraser 1995: 406).

Die letzten deutsch-italienischen Truppen in Nordafrika mussten am 13. Mai 1943 in Tunesien die Waffen strecken – Rommels Lagebeurteilung vom November 1942 hatte sich als zutreffend erwiesen. Nun rechnete die Führung der Wehrmacht mit einer alliierten Invasion in Italien.

Am 17. Mai 1943 hatte Hitler die „Bildung eines Sonderstabes Rommel“ angeordnet, der im italienischen Operationsgebiet eingesetzt werden sollte (Bradley, Schulze-Kossens 1984: Bl. 71). Zwei Monate später, am 15. Juli 1943, ernannte der Diktator ihn zum Oberbefehlshaber der neu gegründeten Heeresgruppe B. Im Juli waren Engländer und Amerikaner auf Sizilien gelandet, wo sie nur auf schwache Gegenwehr stießen. Am 25. Juli 1943 entmachtete der faschistische Großrat in einer nächtlichen Sitzung Benito Mussolini. Am Nachmittag desselben Tages wurde der „Duce“ von König Viktor Emmanuel aus dem Amt des Ministerpräsidenten entlassen und kurz darauf – als er den Palast verließ – verhaftet. Obwohl die neue Regierung unter Ministerpräsident Badoglio versicherte, den Krieg an der Seite Deutschlands fortsetzen zu wollen, rechnete man im „Führerhauptquartier“ mit dem Abfall Italiens.

Am 15. August 1943 flog Rommel nach Bologna, wo die Heeresgruppe B ihr Hauptquartier hatte. Deutsche Truppen wurden nach Italien verlegt. Mittlerweile führte Rom in Lissabon Verhandlungen mit den Alliierten über einen Waffenstillstand. Am 8. September kapitulierte die italienische Regierung und schied aus dem Krieg aus. Hitler ernannte am 21. November 1943 Generalfeldmarschall Kesselring zum Oberbefehlshaber Süd. Für Rommel war mittlerweile eine neue Aufgabe gefunden worden.

Am 3. November 1943 hatte Hitler die Weisung Nr. 51 des OKW unterschrieben. Der Diktator ging davon aus, dass eine Invasion im Westen drohte, die über den Ausgang des Krieges entscheiden könnte. Hitler ordnete deshalb an, dem Westen in Zukunft Vorrang vor der Ostfront einzuräumen wäre. Neue Truppen sollten nach Frankreich verlegt werden, um Engländern und Amerikanern eine schwere Niederlage zu bereiten (Deutschland in der Defensive — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de).

Zwei Tage später wurde Rommel damit beauftragt, die Verteidigungsanlagen im Westen zu inspizieren. Hitlers Luftwaffenadjutant Nikolaus von Below hatte zu diesem Zeitpunkt den Eindruck, dass Rommel immer „noch ein unbedingter Anhänger Hitlers“ war (Below 1980: 353). Am 16. November 1943 wurde die Heeresgruppe B dem Oberbefehlshaber West unterstellt. Der Diktator hatte dem in der Bevölkerung immer noch populären Feldmarschall das wichtigste Kommando verliehen, das es 1943/44 in der Wehrmacht gab. Trotz der früher geäußerten Zweifel vertraute er Rommel nach wie vor. Hitler wollte im November 1943 nur noch höhere Offiziere zu Truppenkommandeuren machen, „die Zuversicht ausstrahlen und den Kampf für unsere Weltanschauung innerlich bejahen“ (vgl. Bradley, Schulze-Kossens 1984: Bl.114 f).

Im Januar 1944 übernahm Erwin Rommel nach Erledigung seines Inspektionsauftrages den Oberbefehl über die Heeresgruppe B in Nordfrankreich (6. Juni 1944: Invasion in der Normandie — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de). Sie setzte sich aus der 7. Armee in der Normandie und der 15. Armee am Pas de Calais zusammen. Im Oberkommando der Wehrmacht rechnete man dort mit einer gegnerischen Landung. Das Hauptquartier der Heeresgruppe B lag in La Roche-Guyon. Unter Rommels energischer Führung bereiteten sich die deutschen Truppen auf die wichtige Schlacht vor. Der fast friedensmäßige Garnisonsdienst, der dort seit 1940 geherrscht hatte, fand ein Ende. Nach außen hin strahlte der Feldmarschall Zuversicht aus. Aber er beschäftigte sich mittlerweile auch mit Fragen, die über das rein Militärische hinaus gingen (vgl. Young 1950: 259; Rommel 2010: 190).

Erste Kontakte mit dem Widerstand

Über die Kontakte zum Widerstand gibt es keine persönlichen Aufzeichnungen Rommels (vgl. Lieb 2013: 331). Wir sind auf andere Quellen angewiesen, bei denen die Berichte von Zeitzeugen eine große Rolle spielen. Einer davon ist Karl Strölin. Der Stuttgarter Oberbürgermeister war ein Nationalsozialist der ersten Stunde, doch 1944 stand er dem Diktator kritisch gegenüber. Er glaubte nicht mehr an einen deutschen Sieg und kritisierte die Politik des Regimes gegenüber der Kirche und den Juden (vgl. Young 1950: 260). Der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler hatte Strölin gebeten, den in der Bevölkerung populären Feldmarschall für die Opposition zu gewinnen (vgl. Nachtmann 1995: 332).

Desmond Young stützt sich in seiner Biografie über Rommel auf die Aussagen des Kommunalpolitikers. Im Februar 1944 kam es zu einem Gespräch im Haus des Feldmarschalls in Herrlingen. Young gegenüber behauptete Strölin, die Unterredung hätte „fünf bis sechs Stunden“ gedauert (Young 1950: 262). Beide hätten sich über die militärische und politische Lage Deutschlands ausgesprochen und volle Übereinstimmung erzielt. Dadurch ermutigt informierte Strölin seinen Gesprächspartner über den Plan einiger Offiziere von der Ostfront, Hitler zu verhaften und den Rücktritt des Diktators über den Rundfunk bekannt zu geben, und Rommel hätte das zustimmend zur Kenntnis genommen (vgl. Young 1950: 262). Strölin ging noch einen Schritt weiter und bat den Feldmarschall, sich der „Bewegung“ zur Verfügung zu stellen (Young 1950: 262).

In seiner Broschüre „Verräter oder Patrioten“ 1952 gab Strölin den Verlauf und das Ergebnis der Unterredung so wieder:

„Am Ende unserer eingehenden Besprechung erklärte sich der Feldmarschall für überzeugt, daß er sich für die Rettung des Reiches zur Verfügung stellen müsse. Er wolle Hitler die Notwendigkeiten einer raschen Beendigung des Krieges vortragen und er wolle selbständig handeln, wenn dieser nicht zur Vernunft zu bringen wäre“ (Strölin 1952: 33).

Dass Rommel keine Scheu kannte, Hitler mit abweichenden militärischen Ansichten zu konfrontieren, hatte er schon bewiesen. Hitler zu verhaften, wäre Hochverrat gewesen. Wäre der Feldmarschall ein Gegner dieses Plans gewesen, hätte er dies wahrscheinlich gesagt. Und was bedeutete „selbständiges Handeln“? Peter Hoffmann, einer der führenden Historiker zum Thema Widerstand im NS-Regime, vertrat 1969 die These, Rommel hätte sich auch unter dem Einfluss von Strölin „vom populärsten General Hitlers zum entschiedenen Gegner gewandelt“ (Hoffmann 1969: 415). Ob dem im Februar 1944 wirklich so war, halte ich für fraglich. Aber der Feldmarschall begann, sich von Hitler zu distanzieren.

Rommel und die Militäropposition in Frankreich

In Frankreich geriet der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe in ein Umfeld, in dem der Widerstand stark vertreten war (vgl. Müller 2006: 277). Der Militärbefehlshaber Frankreich, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, gehörte zu den entschiedensten Vertretern der Opposition (vgl. Müller 2006: 277). Unterstützt wurde er von Oberstleutnant d. Res. Caesar von Hofacker. Hofacker war 1937 in die NSDAP eingetreten. Die Kenntnis von Kriegsverbrechen im Osten machten den Oberstleutnant zu einem entschiedenen Gegner des Regimes (vgl. Hiller von Gaertringen 1995: 51). In den Untersuchungsberichten des Reichssicherheitshauptamtes, das nach dem 20. Juli die Hintergründe des Attentats aufklären sollte („Kaltenbrunnerberichte“) wird Hofacker als „ein fanatischer Treiber und Verfechter des Putschgedankens und der gewaltsamen Lösung“ beschrieben (Jacobsen 1984: S. 368).

Die Nachricht von der Versetzung Rommels nach Frankreich wurde im Kreis der Verschwörer zuerst mit großer Zurückhaltung aufgenommen, hielt man den Feldmarschall doch für einen bedingungslosen Gefolgsmann Hitlers. Friedrich Freiherr von Teuchert, seit Juni 1942 in die Arbeit der Widerstandsgruppe in Paris eingeweiht, deutet in seinen Erinnerungen an, dass man über drastische Alternativen nachdachte: „Jedenfalls mußte das Rätsel gelöst – Rommel gewonnen oder beseitigt werden“ (Teuchert 1995: 184). Auch aus der Warte des Historikers nahm der Generalfeldmarschall für Klaus-Jürgen Müller eine Schlüsselrolle ein (vgl. Müller 2006: 278).

Wie gespannt die Atmosphäre im Stab von Stülpnagel war, zeigt einen Blick in das Pariser Tagebuch des Schriftstellers Ernst Jünger, der als Hauptmann zum Stab des Militärbefehlshabers gehörte und Hofacker und Stülpnagel kannte. Am 27. März 1944 notierte er über eine Besprechung mit Hofacker:

„Das Vaterland sei jetzt in äußerster Gefahr. Die Katastrophe sei nicht mehr abzuwenden, wohl aber zu mildern und zu modifizieren, da der Zusammenbruch im Osten fürchterlicher als der im Westen und sicher mit Ausmordungen größten Stils verbunden sei“ (Jünger 1955: 378).

Große Hoffnungen setzte man auf Generalleutnant Hans Speidel, der am 1. April 1944 neuer Chef des Generalstabes der Heeresgruppe B wurde (vgl. Müller 1994: 279; Remy 2002: 237). Speidel sympathisierte mit dem Widerstand. An der Ostfront hatte er sich als Chef des Generalstabes der 8. Armee ausgezeichnet. Im Heerespersonalamt zählte Speidel zum besonders befähigten Führungsnachwuchs (vgl. Bradley, Schulze-Kossens 1984: Bl. 112). Die Pariser Widerstandsgruppe nahm sofort Kontakt zu ihm auf (vgl. Remy 2002: 237).

Erwin Rommel und Hans Speidel
Generalmajor Dr. Hans Speidel (links) und Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Speidel, der Chef des Generalstabes der Heeresgruppe B, stand dem Widerstand nahe. Quelle: Bundesarchiv, Bild 101I-719-0240-22 / Jesse / CC-BY-SA 3.0 (Wikimedia Commons)

Rommel und Speidel waren sich auf Anhieb in der Beurteilung der militärischen Lage einig. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Generalleutnant seinen Oberbefehlshaber über Verbrechen des Regimes in Kenntnis setzte (vgl. Ose 1984: 263). Speidel will Rommel auch über die bisherigen Attentatsversuche informiert haben, aber der Feldmarschall lehnte einen Anschlag ab, „da er Hitler nicht zum Märtyrer gemacht wissen wollte“ (Speidel 1950: 84).

Die Frage, wie man den verlorenen Krieg im Westen beenden könne, spielte bei den Unterredungen zwischen dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B und seinem Chef anscheinend weiter eine Rolle, aber schriftliche Protokolle dieser Besprechungen gibt es nicht, sodass wir auf die Schilderung von Speidel angewiesen sind. Rommel beauftragte den Generalleutnant, mit Strölin und dem Freiherr von Neurath, der bis 1938 das Außenministerium geführt hatte, in Kontakt zu bleiben. In seinem Buch über die Invasion schrieb Speidel nach dem Krieg:

„Die Ausschaltung Hitlers wurde eingehend beraten. Die Auffassung des Feldmarschalls, Hitler festzusetzen und durch ein deutsches Gericht abzuurteilen, stellte Strölin die Auffassung der Berliner Kreise entgegen, die seine Beseitigung für unabdingbar hielten … Der Feldmarschall billigte den Inhalt dieser Besprechungen und ließ Freiherr von Neurath und Dr. Strölin mitteilen, daß die vorbereitenden Maßnahmen eingeleitet seien und er ohne jeden persönlichen Anspruch zu jedem Einsatz bereit sei“ (Speidel 1950: 87). War Rommel nun für das Attentat? Und welche Maßnahmen waren eingeleitet worden? Speidel bleibt die Antwort schuldig.

Am 12. Mai 1944 kam General Eduard Wagner, Generalquartiermeister im Oberkommando des Heeres, nach Laroche-Guyon, um Rommel im Auftrag von Ludwig Beck für das Attentat zu gewinnen (vgl. Irving 1979: 476). Der Feldmarschall blieb bei seiner ablehnenden Haltung, da er den Diktator nicht zum Märtyrer machen wollte (vgl. Hoffmann 1969: 415). Drei Tage später trafen sich Rommel und Stülpnagel. Gegenstand der Unterredung waren, so Speidel, die „notwendigen Maßnahmen für eine Beendigung des Krieges im Westen und für den Sturz des nationalsozialistischen Regimes“ (Speidel 1950: 84). Historiker wie Klaus-Jürgen Müller bezweifeln, ob es an diesem Tag tatsächlich zum „Rommel-Stülpnagel-Pakt“ kam, der eine Beendigung des Krieges im Westen vorsah, da der Feldmarschall „zu diesem Zeitpunkt“ noch nicht zu solchen Initiativen bereit war (vgl. Müller 1994: 279). Aus nachgelassenen Papieren von Oberstleutnant Rudolf Hartmann, Ib-Offizier im Stab des Militärbefehlshaber Frankreichs (er war zuständig für die Verpflegung und den Nachschub) kann jedoch der Schluss gezogen werden, dass Rommel bei dieser Gelegenheit von den Attentatsplanungen erfahren hat (vgl. Schweizer, Lieb 2019: 72).

Peter Hoffmann vertrat in seinem Standardwerk „Widerstand, Staatsstreich, Attentat“ die These, dass dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B „gewissermaßen von selbst die Führung der Opposition in Frankreich“ zugefallen war (Hoffmann 1969: 415).

Doch der Feldmarschall hatte seine Zeit vor allem damit zugebracht, die Truppen auf die bevorstehende Schlacht vorzubereiten. Wenn es gelänge, die Landung abzuwehren, hätte Deutschland noch ein Faustpfand für Verhandlungen in der Hand. Rommel tat alles, um die Abwehrkraft zu steigern und hoffte auf einen Erfolg (vgl. Irving 1979: S. 469; Ose 1982: 73).

Von der Invasion bis zur Verwundung

Am 6. Juni 1944 landeten alliierte Truppen in der Normandie. Drei Tage später war klar, dass die deutschen Truppen den Brückenkopf nicht mehr beseitigen konnten. Der OB West und die Heeresgruppe B konzentrierten sich fortan darauf, den Ausbruch des Gegners zu verhindern (vgl. Ruge 1959: 169).

Am 17. Juni 1944 kam Hitler nach Frankreich, um in Margival bei Soissons mit von Rundstedt, dem OB West und Rommel die Lage im Westen zu besprechen. Die Feldmarschälle wiesen auf die alliierte Überlegenheit hin. Doch der Diktator ließ diese Einwände nicht gelten und bestand darauf, dass jeder Fußbreit Boden verteidigt wird. Die starrsinnige Haltetaktik führte dazu, dass die deutschen Divisionen hohe Verluste erlitten, die nicht mehr ausgeglichen werden konnten. Zwar hielt die Front noch, aber die Lage spitzte sich in der zweiten Hälfte des Monats zu. Am 29. Juni konnten die beiden Feldmarschälle Hitler in Berchtesgaden über die Situation in der Normandie informieren. Rommel war mittlerweile davon überzeugt, dass die Lage mit militärischen Maßnahmen alleine nicht gemeistert werden könnte (vgl. Ruge 1959: 191). Bei der Lagebesprechung wollte er das Thema mehrmals anschneiden, aber Hitler ließ eine Diskussion über eine politische Beendigung des Krieges nicht zu. Am Schluss wies der Diktator ihn aus dem Raum (vgl. Fraser 1995: 463).

Doch nicht nur die krisenhafte Entwicklung an der Front führte dazu, dass Rommel sich von Hitler abwandte. Gegenüber Vizeadmiral Ruge, Admiral z. b. V. im Generalstab der Heeresgruppe B, äußerte er am 25. Juni 1944:

„Es sei Vorsicht geboten vor Kommissaren und SD. Die Person Hitlers sei nicht sauber, da er sich über allgemeine Sittengesetze hinweggesetzt habe. Dies beweise der Fall der 50 englischen Offiziere, die aus einem Gefangenenlager ausbrachen und die er erschießen ließ, als sie wieder eingefangen waren“ (Ruge 1959: 191).

Beide Männer verband ein enges Vertrauensverhältnis (vgl. Pecher: 365).

Im Juli spitzte sich die militärische Lage weiter zu. Am 2. Juli 1944 bemerkte Rommel zu Vizeadmiral Ruge:

„Es wird aber Zeit, dass die Politiker handeln, solange sie noch irgendeinen Trumpf in der Hand haben“ (Ruge 1959: 199).

Am 9. Juli 1944 kam es zu einem Treffen zwischen dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B und Oberstleutnant von Hofacker in La Roche-Guyon. In der Literatur zum Thema Rommel und der Widerstand spielt das Gespräch eine wichtige Rolle (vgl. Lieb 2013: 336). Ein Protokoll ist nicht überliefert. Hofacker will am Abend des 9. Juli seinen Freund Freiherr von Falkenhausen über den Inhalt informiert haben. Falkenhausen fertigte 1945 eine Niederschrift an. Demnach hat Hofacker den Feldmarschall über das geplante Attentat in Kenntnis gesetzt und dieser hätte „nach kurzer Überlegung“ seine Mitwirkung zugesagt, allerdings unter der Voraussetzung, dass Hitler tot wäre (Hiller 1995: 54).

Historiker wie David Irving oder Ralf Georg Reuth, die eine Beteiligung Rommels am Widerstand in Abrede stellen, gehen davon aus, dass Hofacker das Attentat nicht erwähnte (Reuth 2005: 219). Irving spricht von „Nebenquellen“, die diese Schlussfolgerung nahe legten (vgl. Irving 1979: 549). Laut Reuth ging es nur um die militärische Lage:

„Daß dafür zuvor Hitler beseitigt werden mußte, erwähnte Hofacker gewiß auch in dem nachfolgenden Vier-Augen-Gespräch nicht – war es doch zu banal … Rommel durfte nach den Geheimhaltungsprinzipien der Verschwörer also gar nicht in das Attentat auf Hitler eingeweiht werden – und er wurde es sicherlich nicht. Auch wenn Hofacker von einem gewaltsamen Umsturz in Berlin gesprochen hätte, implizierte ein solcher aus der Sicht Rommels längst noch nicht die Beseitigung Hitlers. Dies gründete einerseits in der politischen Einfachheit des Nur-Soldaten Rommel, andererseits in seiner nach wie vor positiven Grundhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus, der ihm eine große militärische Karriere ermöglicht hatte.“ (Reuth 2005: 219 f.).

Weder Reuth noch Irving belegen ihre Behauptungen.

Zu den Nebenquellen gehört auch eine Schilderung von Bernd Gisevius, einem Vertrauten von General Beck. Am 13. Juli 1944 traf er den ehemaligen Chef des Generalstabes, der von der Unterredung zwischen Rommel und Hofacker mittlerweile erfahren hatte. In seinem Buch „Bis zum bitteren Ende“ heißt es:

„Dagegen ist Beck auf Feldmarschall Rommel ausgesprochen schlecht zu sprechen. Er nennt es eine Charakterlosigkeit, mit der sich dieser jetzt dem Schrei nach einem Putsche anschließt. Dieser einst so überzeugte Nazi habe, ähnlich Kluge, die Forderung aufgestellt, es müßten bei dem Attentat alle drei, Hitler, Göring und Himmler, auf einmal verschwinden. Darüber hinaus habe er wissen lassen, auch dann sei es besser, er trete nicht gleich beim ersten Akt hervor, besser halte man ihn als Trumpf in Reserve. Beck hat keinen Zweifel, daß dieser Bericht des Pariser Mittelsmannes, Caesar von Hofacker, richtig ist – aber er denkt mit Unbehagen daran, wie grundanders Rommel noch vor wenigen Monaten die Kriegslage beurteilte“ (Gisevius 1982: 346).

Dass Erwin Rommel im Sommer 1944 für das Attentat gewonnen werden konnte, legen Quellen nahe, die Sönke Neitzel in England erschlossen hat. Die Gespräche, die deutsche Offiziere in einem Gefangenenlager führten, wurden aufgezeichnet, ohne dass die Betroffenen davon erfuhren. Der General der Panzertruppe Eberbach war am 31. August 1944 in der Nähe von Amiens gefangen genommen worden. Mitte September 1944 wurden die Verhöroffiziere Zeuge einer Unterhaltung, die Eberbach mit seinem Kameraden von Choltitz führte.

„Eberbach: Rommel hat mich dann davon auch überzeugt, Rommel sagte mir: Der Führer muss umgelegt werden. Es gibt gar nichts anderes, der Mann ist tatsächlich die treibende Kraft in allem gewesen.
Choltitz: Ich war ja in Posen, da habe ich Hitler gesehen. Da war er total verrückt. Von diesem Zeitpunkt an wusste ich genau, es geht nur mit absoluter physischer Vernichtung. Dass aber auch der Rommel so weit war, das hätte ich nicht gedacht.
Eberbach: Doch Rommel war ganz scharf so. Er sagte: ‚Ich habe es, weiß Gott, am eigenen Leib in Tunis derartig erlebt. Der Mann muss weg!‘ Ganz scharf war er. Gause, der ja mein Chef war, der früher Chef von Rommel gewesen war, der hat so … noch in allen Einzelheiten bestätigt und erklärt“ (Neitzel 2020: 353).

Die Aussage von General Eberbach spielt auch in jenen Publikationen eine Rolle, die eine Beteiligung Rommels am Widerstand anzweifeln. Daniel Sternal kommt in der gedruckten Fassung seiner Bachelorarbeit zu dem Schluss:

„Zum anderen wäre es nach Proske überhaupt nicht sensationell, wenn Rommel tatsächlich gewollt hätte, dass Hitler wegkomme, das hätten die Offiziere zu diesem Zeitpunkt alle gewollt“ (Sternal 2017: 31).

Sternal beruft sich auf Wolfgang Proske, einen Historiker, der zur Rolle des Offizierkorps im NS-Regime keine grundlegenden Arbeiten veröffentlicht hat. Die These, dass Offizierkorps wäre im Sommer 1944 grundsätzlich regimefeindlich eingestellt gewesen, ist falsch. Wäre dem tatsächlich so gewesen, dann hätten die Verschwörer um Stauffenberg am 20. Juli 1944 leichtes Spiel gehabt. Auch in der Literatur zum Thema Wehrmacht im NS-Regime findet man nirgendwo einen Autor, der so argumentiert.

Kontrovers wird unter Historikern auch eine Lagebeurteilung Rommels vom 15. Juli 1944 an das „Führerhauptquartier“ diskutiert. Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B legte dar, dass seine Truppen einen aussichtslosen Kampf gegen die alliierte Übermacht führten. Er schloss mit den Worten:

„Die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der ungleiche Kampf neigt sich dem Ende entgegen. Es ist z. B. nötig, die Folgerungen aus der Lage zu ziehen. Ich fühle mich verpflichtet als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe dies klar auszusprechen“ (zitiert nach: zur Mühlen, Bauer, 1995: 225).

Gegenüber Vizeadmiral Ruge äußerte er, „daß die Front nicht mehr lange halten konnte und daß der politische Entschluß kommen mußte“ (Ruge 1959: 214). Laut den Erinnerungen von General Speidel sollte in der Lagebeurteilung ursprünglich von „politischen Folgerungen“ die Rede gewesen sein. Der Ausdruck wurde jedoch gestrichen, da Hitler darauf nur unsachlich reagiert hätte (Speidel 1949: 138). Speidel interpretierte die Lagebeurteilung als „Ultimatum“ Rommels (Speidel 1949: 139).

Unter Historikern wird diese Einordnung kontrovers diskutiert. Christian Müller kam in seiner Biografie über Stauffenberg zu einem kritischen Urteil:

„Weshalb dieser Schritt ein Ultimatum sein soll, bleibt rätselhaft“ (Müller 1971: 422).

Der Generalfeldmarschall hätte nur aus pragmatischen Gründen gehandelt und wäre innerlich kein Gegner des Nationalsozialismus gewesen. Dagegen zog Winfried Heinemann genau entgegengesetzte Schlussfolgerungen:

„Ausgerechnet der immer auf die operative Ebene reduzierte Rommel wurde damit zum einzigen in Führungsverantwortung stehenden Generalfeldmarschall (Witzleben war ja schon seit Längerem ohne Kommando), der die Begrenztheit operativer Führung transzendierte und eine gesamtstrategische Sicht entwickelte. Dafür hat ihn Hitler zum Selbstmord gezwungen. Ein solches Handeln ist ‚Widerstand‘, auch wenn es mit der Staatstreichplanung der Nationalkonservativen nicht oder nur locker in Beziehung gestanden hat“ (Heinemann 2020: 277).

Die Lagebeurteilung, der sich der OB West angeschlossen hatte, traf erst nach dem Attentat im „Führerhauptquartier“ ein. Zu diesem Zeitpunkt lag Rommel im Lazarett. Beim Angriff eines britischen Tieffliegers war er am 17. Juli 1944 schwer verletzt worden.

Nach dem 20. Juli

Wie Rommel sich am 20. Juli verhalten hätte, muss offenbleiben. Als Vizeadmiral Ruge am 21. Juli 1944 kurz nach Mitternacht Hitlers Rundfunkansprache hörte, fielen ihm die Gespräche ein, die er in den vergangenen Wochen mit dem Feldmarschall geführt hatte:

„Rommel hatte vieles mit mir theoretisch erörtert, seine konkreten Pläne aber nur vorsichtig angedeutet. Wir waren uns in den Gesprächen über die Lage durchaus einig in der Ansicht gewesen, daß bald eine politische Lösung gefunden werden müsse, um den Krieg zu beenden, und daß dies mit Hitler nicht denkbar sei“ (Ruge 1959: 225).

Am 8. August 1944 konnte der Feldmarschall das Lazarett in Frankreich verlassen, um seine Verletzung an seinen Wohnort in Herrlingen auszukurieren. Zu diesem Zeitpunkt stand Rommel bereits unter dem Verdacht, er wäre in das Attentat auf Hitler am 20. Juli verstrickt gewesen. Hofacker hatte Rommel bei einem Verhör belastet. Am 1. August 1944 zeigte Hitler Generaloberst Alfred Jodl einen Vermerk des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, der Hofackers Aussagen zusammen fasste. Der Diktator wollte Rommel kein Kommando mehr anvertrauen. Vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal bezeichnete Jodl das Verhalten des Feldmarschalls als „Verrat“ (zitiert nach Remy 2002: 302). In Berlin ging Anfang August 1944 das Gerücht um, Rommel hätte sich den Verschwörern angeschlossen (vgl. Wassiltschikow 1996: 260).

Am 3. September 1944 wurde Rommel in die „Führerreserve“ versetzt, angesichts der Verletzungen kein ungewöhnlicher Schritt (vgl. Remy 2002: 312). Die Untersuchungen des Regimes über das Attentat waren noch nicht abgeschlossen. Die Ermittler mussten zur Kenntnis nehmen, dass der Kreis der Verschwörer größer war als angenommen. Die Verhörprotokolle der Gestapo sind verschollen (vgl. Lieb 2013: 336). In den sogenannten „Kaltenbrunner-Berichten“ wird der Name Rommel zweimal erwähnt, aber Hinweise auf eine Verstrickung in den Widerstand kann man daraus nicht ableiten (zum Quellenwert dieser Berichte siehe Ritter 1955: 9; Lieb 2013: 334).

Aufschluss über die Rolle Rommels im Widerstand liefern Tagebucheinträge von Joseph Goebbels und ein Vermerk von Martin Bormann, dem Leiter der Parteikanzlei. Goebbels notierte am 7. September 1944, dass ihm Unterlagen vorlägen, aus denen hervorginge, dass Stülpnagel Rommel ins Vertrauen gezogen hätte; der Feldmarschall wäre nicht in der Lage gewesen, diesen „Einflüsterungen“ zu widerstehen (zitiert nach Lieb 2013: 334).

Bormann fertigte am 28. September 1944 eine Aktennotiz, die deutlich machte, dass der Generalfeldmarschall von den Attentatsplänen wusste und sich nach einem gelungenen Attentat der neuen Regierung zur Verfügung gestellt hätte (vgl. Remy 2002: 277). Peter Lieb sieht darin den Beweis, „dass Rommel das Attentat unterstützt hat“ (Lieb 2013: 334). Ralf-Georg Reuth zitiert ebenfalls aus dem Vermerk, misst ihm aber keine Bedeutung bei (vgl. Reuth 2005: 238). David Irving erwähnt einen „Bericht eines Parteifunktionärs“, der Rommel wegen dessen regimekritischer Haltung bei Martin Bormann denunzierte. Der „Sekretär des Führers“ soll Hitler am 28. September darüber informiert haben (vgl. Irving 1979: 582 f.). Handelte es sich um den Vermerk, dem Peter Lieb eine große Bedeutung beimisst?

Hitler traf schließlich eine Entscheidung: Rommel sollte mit den belastenden Aussagen gegen ihn konfrontiert werden. Der Diktator stellte ihn vor die Wahl: entweder Freitod oder eine Anklage vor dem Volksgerichtshof (vgl. Irving 1979: 587). Die Generäle Burgdorf und Maisel suchten den Feldmarschall am 14. Oktober auf. Rommel entschied sich für den Selbstmord und nahm das von Burgdorf angebotene Gift. Offiziell verstarb der Feldmarschall an einem Herzversagen (vgl. Reuth 2005: 250).

Gehörte Rommel zum Widerstand?

Welche Argumente führen Historiker an, die den Feldmarschall nicht zum Kreis der Verschwörer zählen? Zweifellos ist es wichtig, den Begriff „Widerstand“ nicht inflationär auszuweiten, sodass am Ende das deutsche Volk zwischen 1933 bis 1945 nur aus Oppositionellen bestand. Dennoch überrascht, dass Rommel, der zumindest die Absetzung Hitlers erwog und sich mit Plänen für eine Teilkapitulation im Westen trug, von Historikern wie Peter Steinbach nicht dem Widerstand zugerechnet wird (vgl. Lieb 2013: 331).

Auf der anderen Seite hat Steinbach kein Problem damit, einen nationalkonservativen Mitläufer des Regimes wie den Staatssekretär im Reichsaußenministerium, Ernst von Weizsäcker, zum „diplomatische(n) Widerstand“ zu zählen (Steinbach 2004: 33). Der hohe Diplomat wurde nach dem Krieg wegen der Mitwirkung an der Deportation französischer Juden zu sieben Jahre Haft verurteilt. Weizsäcker und einige Diplomaten warnten im Ausland 1938/39 vor den kriegerischen Absichten Hitlers und Ribbentrops (vgl. Steinbach 2004: 33).

Wie kommt es dazu, dass bei Erwin Rommel besonders strenge Maßstäbe angelegt werden? Lag es daran, dass der Feldmarschall „lange Zeit von Elementen der nationalsozialistischen Ideologie sehr angetan war?“ (Lieb 2013: 342). Viele Angehörige des Widerstands hatten zuerst das NS-Regime begrüßt – Rommel machte da keine Ausnahme. Der ehemalige Rüstungsminister Albert Speer zählte  Rommel in einem Verhör in Nürnberg zu den „Nachwuchsfeldmarschälle(n)“, die sich Hitler angepasst hätten (zitiert nach: Overy 2005: 240). Das Image des ‚Führergünstlings‘ scheint auch bei Historikern nachzuwirken.

Für Gerhard Ritter war Rommels oppositionelle Haltung „rein militärischer, nicht politischer Natur“ (Ritter 1955: 392). Im Gegensatz dazu hätte – zum Beispiel – der Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler aus einer inneren Abscheu über die NS-Diktatur zum Widerstand gefunden. Diese Gegenüberstellung ist typisch für die Widerstandsforschung der Fünfzigerjahre. Der 20. Juli wurde als Gewissenstat verstanden. Historiker wie Ritter betonten die ethischen Motive. Von vielen Verschwörern des 20. Juli sind Quellen überliefert, in denen sie mit Abscheu und Verachtung über Verbrechen des Regimes berichten. Bei Rommel findet man nur wenige Äußerungen dazu. Im Frühjahr 1944 äußerte er gegenüber Friedrich Ruge mehrmals Kritik an Maßnahmen des Regimes, aber nie fand er so deutliche Worte wie beispielsweise General Hellmuth Stieff oder der Diplomat Ulrich von Hassel, die nach dem 20. Juli hingerichtet wurden. Rommel war auch nicht an den Diskussionen der Verschwörer in Berlin beteiligt.

Der Umschwung der militärischen Lage im Herbst 1942 weckte in ihm Zweifel, die 1943/44 immer stärker wurden. Aber trifft dies nicht auch für Stauffenberg zu? Kam es nicht erst zu einem „Aufstand des Gewissens“, wie der nationalkonservative Widerstand genannt wird, als sich Ende 1942 eine Entwicklung andeutete, die auf eine militärische Katastrophe hinaus lief? (vgl. den Sammelband “Aufstand des Gewissens”, den das ehemalige Militärgeschichtliche Forschungsamt 1984 herausgegeben hat). Der Entscheidung, sich dem Widerstand anzuschließen, ging bei vielen Beteiligten eine Phase des Schwankens und Zweifelns voraus. Sie standen vor einer Situation, für die es keine ‚Blaupause‘ gab. Viele Militärs hatten Bedenken. Als Offiziere waren sie von der Niederlage im Ersten Weltkrieg geprägt, die sie als inneren Zusammenbruch des Feldheeres erlebt hatten. 1943/44 schien Loyalität zur Staatsführung nicht nur wegen des Eides geboten, sondern auch, um ein ‚zweites 1918‘ zu verhindern. Zweifellos stieß Rommel erst spät zum Widerstand, aber er gehörte zu den wenigen höheren Offizieren, die über das Militärische hinaus dachten.

Ein zweites Argument, dass nicht selten gegen Rommel angeführt wird, lautet, der Feldmarschall hätte nicht aktiv gehandelt, sondern wäre weitgehend passiv geblieben. Für den Stauffenberg-Biografen Christian Müller gehörte er zu den „hoffnungsvollen potentiellen Mitläufern“ (Müller 1971: 422). Doch jede Verschwörung, jede illegale Opposition braucht diese „Widerständler der zweiten Reihe“, wenn sie Erfolg haben will (Heinemann 2019: 13). Dass Rommel zuerst versuchte, Hitler zu beeinflussen, lag den Normen zugrunde, denen er sich als Feldmarschall verpflichtet fühlte. Er war auch nicht der Einzige im Widerstand, der ein Attentat ablehnte, wobei er in diesem Punkt seine Meinung im Frühsommer 1944 geändert hatte. Seine Bedeutung wird aus der Tatsache ersichtlich, dass man sich im Widerstand um ihn bemühte. Ernst Jünger notierte einen Tag nach dem gescheiterten Anschlag in seinem Tagebuch:

„Dazu kommt der Unfall Rommels vom 17. Juli, mit dem der einzige Pfeiler abgebrochen wurde, auf dem ein solches Unternehmen möglich war“ (Jünger 1955: 410).

Ein drittes Argument lautet, Rommel hätte gar nicht erkannt, worauf er sich einließ. David Irving und Ralf-Georg Reuth vertreten diese Argumentation. Bei Irving erscheint Rommel als tumber Tor, der von seinem Chef des Generalstabes, Hans Speidel, manipuliert worden ist (vgl. Irving 1979: 477). Bei Reuth liest sich das so:

„Den Nationalsozialismus hatte er in seinem Wesenskern nicht verstanden und den Widerstand auch nicht“ (Reuth 2005: 275).

Rommel war nicht der – frei nach Goethe – gebildete Offizier wie Tresckow oder Stauffenberg. Desmond Young charakterisierte dessen nüchterne Art mit den Worten: „Rommel war kein geistiger Mensch. Er verstand von Politik so wenig wie von Kunst“ (Young 1950: 263). Joachim C. Fest vertritt die These, die Verschwörer hätten sich nicht um den Feldmarschall bemüht,

„weil er ihren strengen Imperativen, ihrer Moral und ihrer Gewissensnachdenklichkeit sichtlich fernstand“ (Fest 1994: 331).

Abgesehen davon, dass der Widerstand gerade um Rommel geworben hatte, kommt in dem Zitat eine Überhöhung der Männer um Stauffenberg zum Ausdruck, die den Blick auf die historische Wirklichkeit versperrt. Schon Hans Rothfels konnte sich 1949 die Widerständler nur als Erben der deutschen Klassik und des deutschen Idealismus vorstellen (vgl. Rothfels 1958: 176). Lutz Graf Schwerin von Krosigk, von 1932 bis 1945 Reichsminister der Finanzen, beschrieb die Wandlung Rommels, dem er begegnete, ebenso einfach wie zutreffend:

„Der Entschluß zum Abfall von Hitler kam aber bei ihm nicht aus dem Intellekt, nicht aus gekränktem Ehrgefühl, nicht aus Motiven der Tradition oder Religion, sondern er entsprang seinem gesunden Menschenverstand.“ (Schwerin-Krosigk 1952: 289)

Nicht zuletzt wird oft ins Feld geführt, dass Rommel ’nur‘ einen Waffenstillstand mit den Westmächten erwogen hätte. Selbst wenn man also davon ausgeht, dass der Feldmarschall vom Attentat nichts gewusst hat, sind schon seine Pläne für eine Teilkapitulation ein Akt der Opposition, richteten sie sich doch gegen Hitlers sozialdarwinistische Strategie, die nur Sieg oder Untergang kannte (vgl. Heinemann 2020: 9; Hoffmann 2004: 367, 420; Rommel 2010: 203). Selbst Ralf-Georg Reuth, der eine Beteiligung des Feldmarschalls am Widerstand bezweifelt, geht davon aus, dass Rommel „sich bei einem Friedensschluß im Westen mit einbringen“ wollte (Reuth 2005: 221). Hitler warf Rommel in der Lagebesprechung vom 31. August 1944 vor, er hätte

„nun das Schlimmste getan, was es in einem solchen Falle überhaupt für einen Soldaten geben kann: nach anderen Auswegen gesucht als nach militärischen“ (Heiber 1962: 275).

Das war für den Diktator mehr als Meinungsverschiedenheiten in operativen Fragen, wie er sie mit Feldmarschällen wie v. Manstein oder v. Rundstedt häufiger hatte. Diese entband er von ihren Kommandos und berief sie – wie von Rundstedt – erneut, wenn es ihm passte. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, betonte bei einem Verhör am 27. Juni 1945:

„Es war eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des Führers, dass er eine Linie zwischen politischen und militärischen Angelegenheiten zog. Er sagte seinen Soldaten: ‚Reden Sie nicht über Politik, dafür sind sie nicht hier, sondern tun Sie, was ich Ihnen sage'“ (zitiert nach: Overy 2005: 345).

Deshalb gehört Rommel zum militärischen Widerstand. Darunter verstehe ich in Anlehnung an Peter Hoffmann Widerstandsformen höherer Militärs gegen eine Politik, „die Staat und Nation mit Existenzvernichtung drohte“ (Hoffmann 1984: 397). Dieser militärische Widerstand ist kein ‚Widerstand zweiter Klasse‘, sondern steht gleichberechtigt neben anderen Widerstandsformen (vgl. Steinbach 1984: 247). Ulrich von Hassel, der nach dem 20. Juli vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, notierte am 15. August 1943 in seinem Tagebuch:

„All diese Leute (gemeint sind die Generäle, die Verfasserin) machen sich nicht klar, daß Hitlers Parole ist, Deutschland mit sich in den Abgrund zu reißen, wenn ihm der Erfolg versagt bleibt“ (Hiller von Gaertringen 1994: 383).

Rommel löste sich wahrscheinlich erst nach der Invasion von Hitler. Die sich abzeichnende militärische Katastrophe öffnete ihm im Juni/Juli 1944 endgültig die Augen. Zu dieser Erkenntnis und den daraus folgenden Konsequenzen konnten sich nur wenige höhere Offiziere durchringen. Erwin Rommel gehörte dazu und bezahlte dafür mit seinem Leben.

 

Überarbeitete Fassung vom 14. Mai 2023

Für Hinweise auf das Tagebuch von Vizeadmiral Friedrich Ruge danke ich Herrn Regierungsdirektor Dr. Peter Lieb.


Weiterführende Informationen:

https://rommel-gedenken-2021.de/

Richter am Bundesgerichtshof a. D. Dr. Peter Brause nimmt aus der Sicht eines Strafrichters Stellung zu der Frage, ob Erwin Rommel Ende 1944 von einem deutschen Gericht wegen Hochverrats verurteilt worden wäre.

Das wird bejaht, weil Rommel ein ihm bekannt gewordener Attentatsplan auf Hitler nicht weitergemeldet hatte, und Rommel am 17.7.1944 sich der Gefolgschaft der Generäle Dietrich und Eberbach vergewissert hatte, seinen Befehlen zu folgen, auch wenn diese im Widerspruch zu Hitlers Befehlen stünden.

Gleichzeitig kritisiert er die ideologisch einseitige Neugestaltung des Rommel-Denkmals in Heidenheim. Im Gegensatz zu Herrn Dr. Brause plädiere ich jedoch nicht für ein kritisches und ehrenhaftes, sondern ein angemessenes Erinnern.

Planet Wissen: Mythos Erwin Rommel Doku (2020) – YouTube

Eine Dokumentation mit Dr. Peter Lieb und Prof. Wolfram Pyta

Erwin Rommel Denkmal (rommel-denkmal.de)

Die Internetpräsenz der Stadt Heidenheim (Stand 28. April 2023).

als – Geschichtswerkstatt Heidenheim (doczz.net)

Eine Dokumentation der Geschichtswerkstatt Heidenheim

https://katharinakellmann-historikerin.de/auf-dem-weg-zum-20-juli/

Ein Beitrag über Generalmajor Hellmuth Stieff, der ebenfalls am Widerstand beteiligt war und nach dem Attentat hingerichtet wurde.

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