Stein als Finanzminister
In der Hauptstadt des Königreichs wurde ihm der kritische Zustand, in dem sich die Monarchie befand, voll bewusst. Eine Gruppe hoher Beamter und Militärs diskutierte Reformen, aber es fehlte an der Spitze des Staates eine Persönlichkeit, die Veränderungen durchgesetzt hätte. Dabei war Friedrich Wilhelm III. kein Mann, der die Augen vor den inneren Schwächen Preußens verschloss. Aber er glaubte, wie Friedrich der Große den Staat mit einer Kanzlei von höheren Schreibern, Kabinettssekretären genannt, regieren zu können. Vom Ausbau einer Landstraße bis hin zu Änderungen an der Uniform des Militärs lief alles über den Schreibtisch des Königs.
Stein wandte sich entschieden gegen das System der Kabinettssekretäre. Er plädierte für ein modernes Kabinettssystem mit Ministern, die für ein Ressort verantwortlich waren. Stein empfand diesen Zustand als unbefriedigend: „Unsere Minister sind beschränkt auf die Rolle erster Commis (Handlungsgehilfen, die Verfasserin) eines Bureaus, das die laufenden Geschäfte expediert. Ihre Stellung hat keine Achtung mehr, es gibt keinen Zusammenhang in den Geschäften.“ Stein war nicht der Mann, der sich mit der Rolle eines leitenden Bürochefs zufriedengeben wollte. Im Herbst 1805 wandte er sich in einem Brief an den König und warnte vor der aggressiven Politik Napoleons. Friedrich Wilhelm III. wollte jedoch keinen Krieg und ignorierte die Mahnungen seines Finanzministers. Stattdessen kam der Monarch Frankreich entgegen und schloss die preußischen Nordsee- und Ostseehäfen für den britischen Handel. Berlin unterstützte damit die französische Kontinentalsperre. Die wirtschaftlichen Folgen alarmierten Stein.
1806: Stein fordert Reformen
Im April 1806 entwarf der Finanzminister eine Denkschrift und brachte eine Reform des Regierungsapparates ins Gespräch. Die Urteile, die der Freiherr über preußische Politiker fällte, fielen gnadenlos aus. Den Außenminister Haugwitz nannte er beispielsweise einen „Mann ohne Wahrhaftigkeit, einen abgestumpften Wollüstling, schwelgend in sinnlichen Genüssen jeder Art.“ Die Denkschrift soll Friedrich Wilhelm III. von dritter Seite zur Kenntnis gebracht worden sein. Es spricht für ihn, dass er diese Kritik – wenn auch widerwillig – zur Kenntnis nahm. Aber Stein hatte den Ruf eines vorzüglichen Verwaltungsfachmannes, auf dessen Urteil man bei Hofe nicht verzichten wollte. Für die Reformer in Bürokratie und Militär galt er als Hoffnungsträger.
Im Herbst 1806 kam es zu jenem Krieg, den der König vermeiden wollte. Napoleon setzte Preußen unter Druck, sodass Berlin mobilmachen musste. In der Schlacht von Jena und Auerstedt wurden die Preußen vernichtend geschlagen. Am 25. Oktober schrieb Napoleon an seinen Bruder Joseph: „Ich habe die preußische Monarchie vernichtet; ich werde auch die Russen vernichten, wenn sie herankommen.“ Stein sorgte nach Bekanntwerden dieser Nachricht sofort dafür, dass die Goldvorräte des Ministeriums über Stettin nach Königsberg in Sicherheit gebracht wurden.
Bei einer Unterredung in Osterrode setzte sich der Freiherr entschieden dafür ein, den Krieg fortzusetzen. Die Truppen des russischen Bündnispartners wären im Anmarsch. Es gäbe immer noch eine Möglichkeit, einen erträglichen Frieden zu erreichen. Friedrich Wilhelm III. strebte dagegen einen Sonderfrieden mit Frankreich an und wollte vom Stein zum Außenminister ernennen. Der Freiherr lehnte ab. Die Weigerung des Finanzministers, das neue Amt anzutreten, führte bei dem sonst so kontrollierten Monarchen zu einem Wutausbruch. In einem Schreiben bezeichnete er Stein als „widerspenstige(n), trotzige(n), hartnäckige(n) und ungehorsame(n) Staatsdiener …“.
Zwar erkannte er die Fähigkeiten des Freiherrn an, machte aber gleichzeitig klar, dass er sich keine Verwendung mehr für ihn vorstellen könne. Am 4. Januar 1807 reichte der Freiherr seinen Rücktritt ein und zog sich auf sein Gut Nassau zurück.
Bauernbefreiung und die kommunale Selbstverwaltung
Stein war unter dem Einfluss der Französischen Revolution kein Liberaler geworden; nach anfänglichen Sympathien lehnte er die Revolution strikt ab. Steins Biograf Heinz Duchhardt nennt die Französische Revolution das „Schlüsselerlebnis seines Lebens“. Der spätere Reformminister hätte erkannt, dass das System des aufgeklärten Absolutismus sich überlebt hatte. Die Mitwirkung oder Mitbeteiligung des Volkes sollte die Königsmacht stärken. Stein schwebte, wie er in seiner Nassauischen Denkschrift von 1807 notierte, eine „Belebung des Gemein-Geistes und Bürgersinns“ vor. Am 8. Dezember 1807 schrieb er an den Fürsten Hardenberg:
„Ich halte es für wichtig, die Fesseln zu zerbrechen, durch welche die Bürokratie den Aufschwung der menschlichen Tätigkeit hemmt, jenen Geist der Habsucht, des schmutzigen Vorteils, jene Anhänglichkeit ans Mechanische zu zerstören, die diese Regierungsformen beherrschen. Man muss die Nation daran gewöhnen, ihre eigenen Geschäfte zu verwalten und aus jenem Zustand der Kindheit herauszutreten, in dem eine immer unruhige, immer dienstfertige Regierung die Menschen halten will … Der Übergang aus dem alten Zustand der Dinge in die neue Ordnung darf nicht zu hastig sein, und man muss die Menschen nach und nach an selbstständiges Handeln gewöhnen, ehe man sie zu großen Versammlungen beruft und ihnen große Interessen zur Diskussion anvertraut.“
Als Stein diese Zeilen zu Papier brachte, versuchte er, als leitender Minister jene Fehler zu beseitigen, die seiner Meinung nach zu dem preußischen Zusammenbruch beigetragen hatten. Seine Kritik an der Bürokratie mag übertrieben erscheinen. Aber seine bitteren Worte spiegelten die Erfahrungen wieder, die er zwischen 1804 und 1807 gemacht hatte. Das mittlerweile besiegte Preußen befand sich in einer verzweifelten Situation. Die Kosten der französischen Besatzung belasteten die öffentlichen Haushalte. Die Staatsschulden drohten, die Handlungsfähigkeit des Staates zu beeinträchtigen. Im September 1807 ernannte König Friedrich Wilhelm III. Stein zum leitenden Minister für innere Angelegenheiten.
Vierzehn Monate lang, bis zum November 1808, prägte der Freiherr die Politik des Staates. Der oft zaudernde Monarch trug die Veränderungen mit. Stein leitete mit dem Edikt vom 9. November 1807 die Bauernbefreiung ein, das Landschulwesen wurde reformiert, die ersten Schritte zu einer Heeresreform getan, und am 19. November 1808 unterschrieb der preußische König die Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie. Am 19. November 1808 erlangte die von Stein seit 1804 geforderte Reform der obersten Landesbehörden Wirksamkeit: Fortan traten an die Stelle des Generaldirektoriums mehrere Ministerien, die nach dem Ressortprinzip organisiert waren.
Kurz darauf sah sich Friedrich Wilhelm III. gezwungen, auf Druck Napoleons Stein aus seinen Ämtern zu entlassen. Die französische Post hatte einen Brief des Ministers mit abwertenden Äußerungen des Ministers abgefangen.
Opposition gegen die Reformen
Es gab es aber auch eine adlige Opposition gegen die Reformer. Einer ihrer Wortführer, Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777 bis 1837), warf Stein in seinen Lebenserinnerungen vor, der Minister hätte die „Revolutionierung des Vaterlandes“ angefangen. Marwitz sprach von einem „Krieg der Besitzlosen gegen das Eigentum, der Industrie gegen den Ackerbau, des Beweglichen gegen das Stabile des krassen Materialismus gegen die von Gott eingeführte Ordnung …“.
Das Edikt über die Bauernbefreiung hätte die soziale Situation der Bauern nicht verbessert, sondern die „Leibeigenschaft des kleinen Besitzers gegen den Gläubiger, des Armen und Kranken gegen die Polizei und Armenanstalten“ begründet. Stein hätte das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte – so Marwitz. Der Anführer der adligen Opposition teilte zwar in gewissen Punkten die Kritik an der Bürokratie, aber er unterstellte vom Stein, den Adel vernichten zu wollen. Der von Stein beschworene Bürgersinn würde sich – so Marwitz – gegen den Adel richten, der nun einmal die Grundlage des Staates sei. Für Marwitz hatten 1806 Personen, aber nicht das System versagt. Er hielt es für gefährlich, den Bauern und Bürgern zumindest allmählich Beteiligungsrechte einzuräumen.
Karl August Freiherr vom Stein war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass dieser „Gemeinsinn“ sich entwickeln müsse:
„Soll die Nation veredelt werden, so muss man dem unterdrückten Teile derselben Freiheit, Selbständigkeit und Eigentum geben und ihm den Schutz der Gesetze anvertrauen lassen. Die Vervollkommnung der Unterrichtsanstalten, besonders der Landschulen, und ihre Einrichtung muss fortschreiten, damit eine größere Masse gründlicher Kenntnisse sich durch die ganze Nation verbreite.“
In diesem Punkt war Stein ein Liberaler. Er glaubte an die Fähigkeit des Menschen, in Freiheit sein Leben gestalten zu können, ohne dass es zu Chaos oder Anarchie käme. Der Bürger, der Anteil an den öffentlichen Angelegenheiten nehmen konnte, war in den Augen Steins prädestiniert, sich mit der Nation zu identifizieren, wobei er unter Nation nicht eine Gesellschaft von Freien und Gleichen wie in Frankreich verstand, sondern den Staatsbürger, der erkennt, dass diese preußische Monarchie am besten für sein Wohlergehen sorgen würde. Stein hatte Pläne für eine Nationalrepräsentation, aber sie sollte erst am Ende eines langen Reformweges stehen.
Was hat Stein bewirkt?
Historiker merken an, dass Stein aufgrund seiner kurzen Amtszeit die Pläne für einen Neuaufbau des preußischen Staates nicht vollenden konnte. Heinz Duchhardt sieht einen Nachteil der Städteordnung darin, „dass es zu einem Gesamtkonzept nicht mehr kam: zu den notwendigen ergänzenden Kreis-, Bezirks – und Provinzordnungen, von der Verfassung einer landesweiten Repräsentation ganz zu schweigen.“ Dagegen verteidigt Duchhardt das Edikt über die Bauernbefreiung: „Solange die Erbuntertänigkeit bestand, für Kant eine Absurdität, existierte das altständische System weiter. Erst wenn diese Barriere beseitigt war, konnte man davon sprechen, dass ein westeuropäisch-atlantischer Freiheitsbegriff Fuß gefasst hatte … Das, die Transformation von Bewohnern des Staates zu Staatsbürgern, die in einem unmittelbaren Verhältnis zum Staat standen, war ein entscheidender Schritt in die Moderne hinein, und über all den Verwässerungen und Abweichungen der folgenden Jahre sollte dieser Neuansatz nicht in Vergessenheit geraten.“
Hans-Joachim Schoeps konstatiert für Preußen den Übergang zum Rechtsstaat. Gordon A. Craig hält es für verhängnisvoll, dass der von Stein eingeschlagene Weg abgebrochen wurde; möglicherweise wäre Preußen schon im Vormärz zum Kreis der konstitutionellen Verfassungsstaaten gestoßen.
Ob die von Stein in die Wege geleiteten Reformen diese weitreichende Wirkung gehabt hätten, halte ich für fraglich. Aber Stein konnte in diesen vierzehn Monaten einige Breschen schlagen. Er leitete eine Reformperiode ein, die entscheidend dazu beitrug, dass Preußen sich von den Folgen der katastrophalen Niederlage erholen konnte. Dies macht seine historische Leitung aus.
Zu den preußischen Reformen siehe auch: Ein „kühner“ Reformer — Dr. Katharina Kellmann % (katharinakellmann-historikerin.de)
Literatur:
Gordon A. Craig, Das Ende Preussens. Acht Porträts, München 1985
Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, 13. Aufl., München 2008
Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1866. Bürgerwelt und starker Staat, 2. Aufl., München 1984
Hans-Joachim Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, Frankfurt/M., Berlin 1981