Dr. Katharina Kellmann

Hitlers parlamentarische Machtergreifung

Hitlers parlamentarische Machtergreifung wurde durch die Mehrheit des Reichstages ermöglicht. Im Reichsgesetzblatt vom 24. März 1933 erschien ein Gesetz, das aus fünf Artikeln bestand: das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte Ermächtigungsgesetz. In Artikel 1 hieß es, dass Reichsgesetze auch vom Reichskabinett beschlossen werden können. In Artikel 2 wurde festgelegt, dass diese Gesetze die Reichsverfassung verändern dürfen – nur die Existenz des Reichstages und des Reichspräsidenten mussten garantiert werden. Artikel 3 ermächtigte den Reichskanzler, die Gesetze auszufertigen; die Mitwirkung des Reichspräsidenten war nicht mehr erforderlich. Artikel 4 schränkte die Mitwirkungsmöglichkeiten des Reichstages in der Außenpolitik ein. Artikel 5 begrenzte die Geltungsdauer des Gesetzes auf vier Jahre.

Inhaltsverzeichnis:

  • Deutschland in der Krise
  • Hitlers parlamentarische Machtergreifung
  • Das Ermächtigungsgesetz wird im Reichstag beraten
  • Warum gab es keinen Widerstand gegen die drohende Diktatur?
  • Konsequenzen im Grundgesetz

 

 

Das Ermächtigungsgesetz
Das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat“ vom 24. März 1933. Dieses Gesetz mit wenigen Artikeln ermöglichte Hitlers parlamentarische Machtergreifung (Wikimedia Commons).

Deutschland in der Krise

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den „Führer“ der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Die NSDAP stellte zu diesem Zeitpunkt die stärkste Fraktion im Reichstag, doch eine absolute Mehrheit besaß sie nicht. Hitler bildete ein Kabinett, in dem drei Nationalsozialisten, Vertreter der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und parteilose Minister vertreten waren.

Die DNVP war 1918 als rechtskonservative politische Kraft gegründet worden. Als Ende der Zwanzigerjahre Alfred Hugenberg den Vorsitz übernahm, gewann der völkisch-nationalistische Flügel die Oberhand. Die Partei verfolgte einen radikaleren Kurs, sodass 1933 eine Koalition zwischen DNVP und NSDAP möglich war. Der Antisemitismus in der DNVP fiel allerdings gemäßigter aus als in der NSDAP.

Die NSDAP hatte 1920 ein 25 Punkte-Programm veröffentlicht, das ihren antisemitischen, antidemokratischen und fremdenfeindlichen Charakter betonte. Ansonsten forderte dieses politische Manifest die Stärkung des Mittelstandes, die Unterordnung des Individuums unter die Gemeinschaft, eine Revision des Versailler Vertrages und eine Bodenreform. Zwar wurde das Wort Diktatur an keiner Stelle erwähnt, aber es war offensichtlich, dass die Partei die geltende Verfassung ablehnte. Noch Mitte der Zwanzigerjahre gehörte die NSDAP zu den vielen Splitterparteien der Republik. 1928 zog sie mit 12 Abgeordneten in den Reichstag ein. Die DNVP konnte 73 Abgeordnete entsenden.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise seit 1929 führte dazu, dass die NSDAP immer stärker wurde, während die DNVP fast die Hälfte ihrer Wähler verlor. Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 wurden die Nationalsozialisten stärkste Partei. Drei Monate später, am 6. November 1932, musste sie leichte Verluste hinnehmen, stellte aber weiterhin die stärkste Fraktion im Reichstag. Mit 33,1 % der Stimmen lag sie klar vor der SPD, die 20,4 % erreichte. Die Kommunisten kamen auf 16,9 %, das katholische Zentrum verbuchte 11,9 % für sich und für die DNVP stimmten 8,3 %. Die Mehrheit der Deutschen gab ihre Stimme also für Parteien ab, die die Weimarer Republik ablehnten (NSDAP, KDP, DNVP).

 

Weltwirtschaftskrise 1931
13. Juli 1931: Menschenmenge vor einer Berliner Sparkasse. Im Juli 1931 mussten mehrere große Banken ihre Zahlungsunfähigkeit einräumen. Die Bankenkrise verschärfte die wirtschaftliche Situation. Aufnahme von Georg Pahl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-12023 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.

Reichskanzler Franz von Papen, der im Parlament über keine Mehrheit verfügte, trat Anfang Dezember 1932 zurück. Sein Nachfolger wurde der parteilose General Kurt von Schleicher. Er versuchte, die NSDAP zu spalten und eine Regierung zu bilden, die sich im Reichstag auf eine Mehrheit stützen konnte. Dies scheiterte jedoch, sodass der „Führer“ der stärksten deutschen Partei, Adolf Hitler, am 30. Januar 1933 vom Reichspräsidenten zum Reichskanzler ernannt wurde.

Hitlers parlamentarische Machtergreifung

Hitler wurde von seinen politischen Gegnern und seinem Koalitionspartner, der DNVP, unterschätzt. Viele Menschen glaubten, dass der ehemalige Postkartenmaler und Weltkriegsgefreite aus Österreich bald abgewirtschaftet haben würde. Erst 1932 war Adolf Hitler (geboren am 20. April 1889 in Braunau am Inn in der damaligen Habsburgermonarchie) eingebürgert worden. Kurz darauf hatte er in der Reichspräsidentenwahl gegen Amtsinhaber Paul von Hindenburg kandidiert. Die konservativ-nationalistischen Kräfte, die 1925 den Feldmarschall unterstützt hatten, warben nun für Hitler. Im zweiten Wahlgang konnte Hindenburg sich durchsetzen.

Innerhalb der Rechtskonservativen gab es unterschiedliche Meinungen über das Bündnis mit den Nationalsozialisten. Angeblich soll Hugenberg, der die Koalition mit der NSDAP gefördert hatte, schon am 31. Januar 1933 gegenüber einem Bekannten geäußert haben, er hätte einen schweren Fehler gemacht. Doch in den nächsten Wochen tat er nichts, um Hitler zu stoppen. Der Reichskanzler schien im Frühjahr 1933 der einzige Politiker zu sein, der genau wusste, was er wollte. Schon unmittelbar nach seiner Ernennung plante Hitler, gemäß Artikel 76 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ein Ermächtigungsgesetz auf den Weg zu bringen, das ihm umfassende Vollmachten einbrächte. Allerdings benötigte er dafür eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag und im Reichsrat. Am 1. Februar 1933 löste Hindenburg den Reichstag auf und schrieb Neuwahlen für den 5. März 1933 aus.

Von einem freien Wahlkampf konnte keine Rede mehr sein. Schlägertrupps der NSDAP störten Veranstaltungen der SPD und der KPD. Gleichzeitig missbrauchte die Regierung das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach Artikel 48 Satz 2 WRV. Diese Verfassungsnorm ermächtigte den Reichspräsidenten, „Maßnahmen“ zu ergreifen, die zur „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ erforderlich sind. Der Staat sollte in Krisenzeiten handlungsfähig bleiben. Notverordnungen sollten aber nicht die parlamentarische Willensbildung ersetzen.

Am 6. Februar 1933 unterschrieb Reichspräsident von Hindenburg eine für das Land Preußen geltende Notverordnung, die den Nationalsozialisten die Möglichkeit gab, Beamte willkürlich aus dem Dienst zu entfernen. Regierungspräsidenten, Polizeipräsidenten und Landräte, die nicht den Vorstellungen der neuen Machthaber entsprachen, wurden entlassen. Die SA, eine Organisation der NSDAP, erhielt am 22. Februar 1933 die Ermächtigung, Verhaftungen vorzunehmen und wurde mit polizeiähnlichen Befugnissen ausgestattet.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brach im Gebäude des Reichstages Feuer aus. Der mutmaßliche Brandstifter, der holländische Kommunist Marinus van der Lubbe, hatte die Brände gelegt. Die Führung der Nationalsozialisten unterstellte einen von der KPD geplanten Anschlag. Lubbe war jedoch ein Einzeltäter. Reichspräsident Paul von Hindenburg setzte auf Drängen Hitlers mit einer Notverordnung vom 28. Februar 1933 die Grundrechte außer Kraft.

Quelle: Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:1971markus)

Am 5. März 1933 konnten die Deutschen noch einmal ihre Stimme abgeben. Die NSDAP erreichte mit knapp 44 % der Stimmen nur eine relative Mehrheit. Die DNVP trat nicht als eigenständige Partei an, sondern als Teil der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“. Die Farben des 1918 untergegangenen Kaiserreiches machten die Unterschiede zwischen der NSDAP und der DNVP deutlich. Hitler lehnte eine Wiederherstellung der Monarchie in Deutschland aus taktischen Gründen 1933 nicht offen ab. Wahrscheinlich wollte der Reichskanzler zu diesem Zeitpunkt seinen nationalkonservativen Koalitionspartner nicht verprellen. Mit insgesamt 52 % der abgegebenen Stimmen verfügte Hitler immer noch nicht über die notwendige Mehrheit für das von ihm geplante Ermächtigungsgesetz.

Das Ermächtigungsgesetz wird im Reichstag beraten

Hitler war weiterhin auf die Unterstützung des katholischen Zentrums angewiesen. Die Mandate der KPD waren bereits für ungültig erklärt worden – eine rechtlich mehr als zweifelhafte Entscheidung, sodass die Regierung die erforderliche Mehrheit leichter erreichen konnte. Die Sozialdemokraten stellten nicht genug Abgeordnete, um mit ihren Stimmen das Gesetz zu verhindern. Die wenigen liberalen Vertreter fielen ebenfalls nicht ins Gewicht.

 

Hitler im Reichstag
Adolf Hitler begründet am 23. März 1933 im Reichstag das Ermächtigungsgesetz. Wie sehr das Parlament vom neuen Regime missbraucht wurde, zeigt das Hakenkreuz an der Stirnseite des Sitzungssaales. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-14439 / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Zwischen dem 7. Februar 1933 und dem 20. März 1933 wurde der Entwurf dieses Gesetzes in den Berliner Ministerien erarbeitet. Am 21. März 1933 erhielten die Abgeordneten des Reichstages die Unterlagen.

Der Entwurf sah vor, dass Gesetze fortan auch vom Kabinett verabschiedet werden konnten. Eine Zustimmung des Reichstages und des Reichsrates war nicht mehr erforderlich. Die Existenz des Reichstages wurde garantiert; ebenso die Befugnisse des Reichspräsidenten. Da die Weimarer Verfassung einer Verfassungsänderung keine materiell rechtlichen Grenzen setzte, bot der Gesetzesentwurf die Möglichkeit, eine Kabinettsdiktatur zu errichten.

Schon der Koalitionspartner DNVP äußerte Bedenken. Einige Abgeordnete der Rechtskonservativen forderten wie das Zentrum einen Zusatzantrag, wonach die mit der Notverordnung vom 28. Februar 1933 aufgehobenen Grundrechte wieder in Kraft gesetzt werden sollten.

Am 22. März traf sich der Fraktionsvorsitzende des Zentrums, Prälat Kaas, mit Hitler. Vor der entscheidenden Reichstagssitzung am 23. März informierte Kaas seine Abgeordneten darüber, dass der Reichskanzler einigen Forderungen des Zentrums entgegengekommen sei. Die Regierung würde kein Gesetz auf den Weg bringen, dass gegen den Reichspräsidenten gerichtet sei. Die Unabhängigkeit der Richter und die Existenz der Länder blieben gewahrt. Die christlichen Kirchen würden nicht unter das Ermächtigungsgesetz fallen. Vom Grundsatz der politischen Gleichheit blieben nur die Kommunisten ausgenommen. Die Tatsache, dass der Fraktionsvorsitzende des Zentrums keine Einwände gegen die verfassungswidrige Verfolgung der KPD vorbrachte, zeigt, dass auch die rechte Mitte in Deutschland mittlerweile autoritären Lösungen zuneigte. Kaas konnte die Skeptiker in seiner Fraktion davon überzeugen, dass eine Ablehnung des Gesetzes der Stellung des Katholizismus schaden würde. Mit dem Ermächtigungsgesetz bestand in den Augen der meisten Abgeordneten noch eine geringe Chance, einer befürchteten Radikalisierung der NSDAP Einhalt zu gebieten. Allerdings gab es auch Vorbehalte gegen die Gesetzesvorlage.

Am Nachmittag des 23. März 1933 beriet der Reichstag das Gesetz. Hitler versuchte, als gemäßigter Politiker aufzutreten. Der Reichskanzler sprach von einer „nationalen Erhebung“, die es unmöglich mache, dass die Regierung immer wieder mit dem Reichstag verhandeln müsse. Die Stabilität der neuen Exekutive würde darunter leiden. Außerdem hätte er nicht vor, den Reichstag abzuschaffen. In wichtigen Fällen würde seine Regierung Gesetze dem Parlament vorlegen. Der Zentrumsführer Kaas berief sich auf die Zusagen Hitlers und kündigte die Zustimmung seiner Fraktion für die Gesetzesvorlage an, ebenso die Redner der Bayerischen Volkspartei, der Deutschen Staatspartei und des Christlich-Sozialen Volksdienstes.

 

Otto Wels
Otto Wels begründete für die SPD die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes (Wikimedia Commons).

Der Sozialdemokrat Otto Wels begründete für seine Fraktion die Ablehnung der Pläne der Nationalsozialisten. Zuerst trug er politische und verfassungsrechtliche Argumente seiner Partei vor. Die Regierung hätte eine klare Mehrheit; sie bräuchte kein verfassungsänderndes Gesetz. Dann sprach er offen die Gefahr einer drohenden Diktatur an: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Am Schluss seiner Rede grüßte er alle politisch Verfolgten und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass auf die Zeit der Unterdrückung eine „hellere Zukunft“ folgen würde. (http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/German_6.pdf). Wels war kein großer Rhetoriker. Aber gerade seine unpathetische Art ließ seine Worte umso ergreifender wirken.

Hitler meldete sich daraufhin wutentbrannt zu Wort und beleidigte die SPD als vaterlandslose Partei, die Deutschland ins Chaos geführt hätte. Seine Regierung würde auf die Zustimmung der Sozialdemokraten gar keinen Wert legen. Am Schluss stimmten 444 Abgeordnete für die Gesetzesvorlage. Die 94 Sozialdemokraten votierten dagegen. Ein Teil der kommunistischen Parlamentarier saß bereits im Gefängnis, andere hatten wegen der Verfolgungsmaßnahmen des Regimes das Land verlassen. Der Reichsrat erhob keine Einwände und Reichspräsident Paul von Hindenburg unterschrieb noch am Abend das Gesetz.

Warum gab es keinen Widerstand gegen die drohende Diktatur?

Das Gesetz lässt sich auf einem DIN A4-Blatt abdrucken. Es gab Reichskanzler Adolf Hitler die Möglichkeit, seine menschenverachtende Diktatur zu errichten. Fünf Paragrafen reichten aus, um eine liberal-demokratische Verfassung auszuhöhlen. Dies war jedoch nur möglich, weil sich die Weimarer Republik seit 1930 in einer schweren Krise befand. Die bürgerlichen Parteien und ihre Wähler hatten das Vertrauen in die demokratische Regierungsform verloren. Die verheerende Weltwirtschaftskrise mit sechs Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen und die Unfähigkeit der Parteien, die Krise zu lösen, bestärkte viele Deutsche in ihren Zweifeln am Parlamentarismus.

Seit dem 29. März 1930 hatten alle Reichskanzler gestützt auf Notverordnungen nach Artikel 48 Satz 2 WRV regiert. Der Reichstag hätte sie mit einer qualifizierten Mehrheit wieder aufheben können, aber diese Mehrheit existierte nicht. Trotzdem gab es bis zum Machtantritt Hitlers eine freie Presse, eine unabhängige Justiz und den Reichspräsidenten, der die Notverordnungen unterzeichnen musste. Viele Deutschen unterschätzten wahrscheinlich die Gefahren, die von dem Ermächtigungsgesetz ausgingen. 1923 war in einer Krisensituation bereits ein Ermächtigungsgesetz unter dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert verabschiedet worden. Es trug dazu bei, die Republik zu stabilisieren. Außerdem wurde die Weimarer Reichsverfassung durch das Ermächtigungsgesetz nicht aufgehoben. Nicht zuletzt setzten Teile des Bürgertums ihre Hoffnungen auf Hindenburg, von dem sie glaubten, dass er als Staatsoberhaupt einen mäßigenden Einfluss auf Hitler ausüben würde.

Die DNVP glaubte, die Nationalsozialisten benutzen zu können. Die NSDAP erschien als ein geeigneter Verbündeter. Doch hier hatten sich Hugenberg und seine Parteifreunde verrechnet. Von Anfang an schrieb Hitler seinem Koalitionspartner das Gesetz des Handelns vor.

Im Zentrum war man um die Stellung und die Rechte der katholischen Kirche besorgt. Außerdem glaubte die Mehrheit der Reichstagsfraktion, dass Hitler nach vier Jahren auf eine Verlängerung verzichten würde – wenn sein Kabinett bis dahin nicht gescheitert wäre.

Selbst die Sozialdemokraten rechneten nicht damit, dass der Reichskanzler sich in wenigen Wochen zum Diktator aufschwingen würde. Sie stellten sich auf Verfolgungsmaßnahmen wie unter dem Bismarck’schen Sozialistengesetz ein, das die Partei überstanden hatte.

In den nächsten Monaten nutzte Hitler die Möglichkeiten, die ihm das Ermächtigungsgesetz bot, bedenkenlos aus. Er legte nicht – wie in der Reichstagsdebatte vom 23. März 1933 angekündigt, wichtige Gesetze dem Parlament vor. Am 7. April 1933 erließ das Kabinett – ohne Mitwirkung des Reichstages – das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. § 3 dieses Gesetzes ermöglichte, einen Beamten aus dem Dienst zu entfernen, nur weil er Jude war. Die Gewerkschaften mussten sich am 2. Mai 1933 einer nationalsozialistisch orientierten „Deutschen Arbeitsfront“ anschließen. Die SPD wurde am 22. Juni 1933 verboten. Die bürgerlichen Parteien und die DNVP lösten sich bis Anfang Juli 1933 auf.

Am 14. Juli 1933 erließ das Kabinett ein Gesetz, dass die Neugründung von Parteien verbot. Am selben Tag gaben die Minister auch dem „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ ihre Zustimmung. Im „Deutschen Reichsanzeiger“ erschien am 25. August 1933 die erste Liste mit 33 Personen, die im Ausland lebten und denen das NS-Regime die deutsche Staatsangehörigkeit entzog. Auf der Liste findet man unter anderem Otto Wels, den Publizisten Kurt Tucholsky, die Schriftsteller Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger, den Journalisten Friedrich Stampfer oder den Theaterkritiker Alfred Kerr. Es handelte sich um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die – wie Heinrich Mann – vom Ausland her die Diktatur der Nationalsozialisten verurteilt hatten. Die Betroffenen hätten damit – so Innenminister Frick  – dem Reich gegenüber  gegen ihre Treuepflicht verstoßen.

Neben dem Beamtenrecht gehörte das Staatsangehörigkeitsrecht zu den ersten Rechtsgebieten, in denen die Nationalsozialisten ihre verbrecherischen Ziele umsetzten und die Möglichkeiten des Ermächtigungsgesetzes nutzten.

Konsequenzen im Grundgesetz

1948/49 beriet der Parlamentarische Rat in Bonn über ein Grundgesetz für die noch zu gründende Bundesrepublik Deutschland. Die Delegierten wollten verhindern, dass die Demokratie erneut dazu missbraucht werden könnte, sie abzuschaffen. Deshalb wurde Artikel 79 Absatz 3 in das Grundgesetz (GG) aufgenommen: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

Zentrale Bestimmungen des Grundgesetzes sind damit einer Verfassungsänderung entzogen. Artikel 1 stellt die Menschenwürde an die Spitze der Verfassung. In Artikel 20 ist festgelegt, dass dieser Staat, solange er besteht, eine demokratische und soziale Bundesrepublik zu sein hat. Artikel 20 Absatz 3 GG definiert das Rechtsstaatsprinzip. Republik, Demokratie, Bundesstaat, Sozialstaat und Rechtsstaat – so lauten die Eckpfeiler unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 wäre nicht möglich gewesen, hätte die Weimarer Reichsverfassung eine solche Regelung enthalten. Natürlich kann auch diese Bestimmung nicht verhindern, dass die Deutschen möglicherweise noch einmal der Demokratie eine Absage erteilen. Aber der Artikel 79 Absatz 3 GG, die Ewigkeitsklausel, setzt ein Zeichen und erschwert die Verfassungsänderung.

Die Demokratie können nur wir schützen – die Bürgerinnen und Bürger.

 

Der Beitrag wurde am 12. April 2023 überarbeitet.