Dr. Katharina Kellmann

Frau Lehrerin trägt Minirock

Was hat der Minirock von Frau Lehrerin mit dem Grundgesetz zu tun? Das Grundgesetz – unsere Verfassung – beschäftigt sich nicht nur mit den Verfassungsorganen und ihren Kompetenzen. Der erste Abschnitt unseres Grundgesetzes trägt die Überschrift „Grundrechte“.

Grundrechte oder Menschenrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat. Aber unsere Verfassung setzt bei den Grundrechten auch Grenzen. Wer seinen Nachbarn beschimpft, kann sich nicht mehr auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen.

Bei der Einschränkung von Grund- oder Menschenrechten geht es grundsätzlich um eine Abwägung zwischen den Interessen des Individuums und den Interessen der Allgemeinheit. Nur die Perspektive des Einzelnen im Auge zu haben, würde dazu führen, dass unsere Gesellschaft irgendwann auseinanderfällt.

Würden nur die Interessen der Allgemeinheit im Vordergrund stehen, könnten Grund- oder Menschenrechte möglicherweise „leerlaufen“. Dem Staat die Möglichkeit zu geben, diese Rechte ohne Probleme einschränken zu können, entspräche nicht dem Grundgedanken unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung. Im Einzelfall muss abgewogen werden, ob die Interessen des Bürgers Vorrang haben oder ob den Belangen der Allgemeinheit ein höherer Stellenwert einzuräumen ist.

Nicht erst seit der Diskussion über das Verbot der Vollverschleierung wird deutlich, dass die Garderobe auch rechtliche Probleme aufwerfen kann.

Stellen wir uns folgende Situation vor:

Luise Plottermann ist Studienrätin an einer Berufsschule. Aufsehen erregt sie nicht nur durch ihren interessanten Unterricht, sondern auch durch ihre Kleidung. Sie trägt gerne Miniröcke, die ihrem Namen alle Ehre machen und von Fachleuten ob ihrer Kürze als Mikrorock bezeichnet werden. Von ihren Auszubildenden wird sie mit Johlen und Pfeifen begrüßt. Luise Plottermann weiß sich aber zu wehren und lässt keinen Zweifel daran, dass sie den Unterricht leitet. Die Klausurergebnisse der von ihr unterrichteten Klassen liegen eher über dem Durchschnitt.

Doch ihr Erscheinungsbild führt dazu, dass sich in anderen Klassen der Unterrichtsbeginn verzögert. Auch Schüler, die nicht von ihr unterrichtet werden, möchten einen Blick auf die Beine von Frau Plottermann werfen. Die zuständigen Lehrer können sich nicht durchsetzen. Es lässt sich nicht leugnen: Der Unterrichtsbetrieb ist beeinträchtigt.

Oberstudiendirektor Dr. Taft, ein – wie er gerne betont – liberaler Pädagoge, muss sich immer häufiger mit Beschwerden der anderen Lehrer beschäftigen (und Beschwerden sind ihm so unangenehm).

Er spricht mit Frau Plottermann und bittet sie, ihre extrem kurzen Röcke nicht mehr im Unterricht und auf dem Schulgelände zu tragen. Eindringlich verweist Dr. Taft auf die nachweisbaren Störungen des Lehrbetriebes.

Aber Frau Plottermann bleibt hartnäckig. Sie beruft sich auf das Grundgesetz, ihre Erfolge als Pädagogin und darauf, dass sie ihre Klassen im Griff hätte. Da es zu keiner gütlichen Einigung kommt und das Gepfeife und Gejohle den Schulfrieden stört, händigt er Frau Plottermann gegen Empfangsbekenntnis eine schriftliche Weisung aus, in der es heißt, sie hätte sich „amtsangemessen zu kleiden. Das Tragen von extrem kurzen Miniröcken hätte auf dem Schulgelände zu unterbleiben.“

Frau Plottermann (P) will wissen, ob der Schulleiter (Dr. T.) zu dieser Weisung berechtigt ist. Als Rechtsgrundlagen können das Grundgesetz (GG) und das Bundesbeamtengesetz (BBG) herangezogen werden.

Ist die Weisung von Dr. Taft rechtmäßig?

P. könnte in ihrem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG betroffen sein. Zur allgemeinen Handlungsfreiheit gehört auch das Recht, sich so kleiden, wie man möchte. Die Weisung von Dr. Taft schränkt die P. in diesem Recht ein. Hier liegt also ein Eingriff in ein Grundrecht der P. vor.

Im ersten Schritt muss das in Frage kommende Grundrecht geprüft werden. Dieses Grundrecht muss benannt und definiert werden. Dann ist festzustellen, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt. Mit dieser Feststellung endet der erste Abschnitt. Im ersten Prüfabschnitt steht das Individuum, der Grundrechtsträger, im Vordergrund. Grundrechte haben jedoch immer einen Sozialbezug. Sie stoßen an Schranken. Diese Schranken sollen den Interessen der Allgemeinheit Rechnung tragen. Als nächstes ist also der Schrankenbereich zu prüfen.

Ein Grundrechtseingriff ist zulässig, wenn er durch eine Schranke gerechtfertigt ist. Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, wenn er nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Hier könnte die verfassungsunmittelbare Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung den Eingriff rechtfertigen. Zur verfassungsmäßigen Ordnung zählen alle verfassungsmäßigen Gesetze, Verordnungen und Satzungen. Dr. T. stützt seine Weisung auf § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG. Diese Norm verstößt nicht gegen die Verfassung. Er kann sich auf eine verfassungskonforme Schranke berufen, die das Grundrecht der P. grundsätzlich begrenzt.

Die jeweilige Schranke ist zu benennen und zu prüfen. Damit ist die Arbeit jedoch noch nicht getan. Würde man hier aufhören, dann gäbe es zwar Grundrechte, aber diese könnten jederzeit begrenzt werden. Damit stünde ihre Existenz nur auf dem Papier. Unsere Verfassung strebt jedoch einen Ausgleich zwischen Individualinteresse und Allgemeinwohl an.

Also ist ein dritter Prüfabschnitt erforderlich: Auch der Schranke sind Grenzen gesetzt. Nun muss ganz konkret entschieden werden, ob die Interessen des Individuums oder die Belange der Allgemeinheit Vorrang haben. Diese Abwägung nimmt man im Schranken-Schranken-Bereich vor.

Nun ist der Schranken-Schranken-Bereich zu prüfen. Hier geht es darum, ob die konkrete Weisung des Dr. T. rechtmäßig ist. Auch Eingriffe in Grundrechte müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Die Weisung des Dr. T müsste geeignet sein. Geeignet ist jede Maßnahme, die dazu beiträgt, dass der gewünschte Erfolg erreicht wird. Dieser Erfolg besteht hier darin, einen störungsfreien Ablauf des Unterrichts zu gewährleisten. P. löst durch ihr Verhalten, ihre Garderobe, diese Störungen aus. Die Weisung des Dr. T. zielt auf diesen Punkt ab und ist daher geeignet.

Außerdem müsste die Weisung erforderlich sein. Dies bedeutet, dass es kein milderes geeignetes Mittel als die Weisung von Dr. T. geben würde. Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, dass der Schulleiter Weisungen erteilen könnte, die weniger tief in die Rechte der P. eingriffen und gleichzeitig den Erfolg bewirkten. Die Maßnahme ist daher erforderlich.

Ferner müsste die Weisung des T. angemessen sein. Dies bedeutet, dass die Zweck-Mittel-Relation gewahrt werden muss. Die Nachteile, die durch den Eingriff entstehen, dürfen nicht größer sein als die Vorteile. Zweifelsohne wird P. gezwungen, sich in ihrem Kleidungsstil den dienstlichen Erfordernissen anzupassen. Die Weisung erstreckt sich jedoch nur auf den beruflichen Bereich. Hier tritt sie außerdem als Vertreterin einer Behörde auf, so dass ihr äußeres Erscheinungsbild auch auf ihren Dienstherren „abfärbt“ und die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit als Lehrerin beeinflussen kann. Außerdem erscheint die Weisung von Dr. T. nicht überzogen; der P. wäre es auch weiterhin möglich, in ihrer dienstlichen Funktion bei ihrer Kleidung noch individuelle Akzente zu setzen und damit ihrer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Ferner ist Dr. T. für den reibungslosen Ablauf des Lehrbetriebs verantwortlich. Die Tatsache, dass Frau P. mit den Reaktionen ihrer Schüler umgehen kann, während ihre Kollegen und Kolleginnen das nicht schaffen, ist hier unerheblich. Vorrang hat der Dienstbetrieb, der durch die Garderobe von Frau P. beeinträchtigt ist. Als Beamtin muss sie rechtskonforme Einschränkungen ihrer Grundrechte im Dienst hinnehmen.

Ergebnis:

Fazit: Die Weisung von Dr. Taft ist rechtmäßig.