Dr. Katharina Kellmann

Die erste deutsche Flotte

Die erste deutsche Marine war ein Kind der Revolution von 1848. Das Parlament in der Frankfurter Paulskirche beschloss 1848 die Gründung einer Flotte. Zu diesem Zeitpunkt kaperten dänische Kriegsschiffe in der Nordsee Handelsschiffe der norddeutschen Küstenstaaten. Aus der Not heraus entstand 1848/49 eine Reichsmarine, die bis 1853 die schwarz-rot-goldene Flagge trug. Ihr Kommandeur, Carl-Rudolph Bromme (in der Literatur wird oft der Name Brommy genannt, aber sein Geburtsname lautet Bromme) war ein Sachse, der in Amerika und Griechenland Karriere als Seeoffizier gemacht hatte. Die Offiziere der jungen Flotte kamen unter anderem aus England, den USA und Belgien. Über Nacht war in Deutschland eine Flottenbegeisterung ausgebrochen, die vorher undenkbar schien.

 

Die erste deutsche Flotte
Die erste deutsche Flotte vor Bremerhaven. Der Maler ist nicht bekannt (Wikimedia Commons).

Deutschland – ein Land ohne Kriegsmarine

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielte Deutschland im internationalen Seehandel eine untergeordnete Rolle. Das 1806 erloschene Heilige Römische Reich deutscher Nation verfügte nicht über eine Kriegsmarine. Die deutschen Staaten, die an die Nord- und die Ostsee grenzten, waren nicht in der Lage, eigene Seestreitkräfte aufzubauen. In Preußen unterhielt die Preußische Seehandlung, die zum Geschäftsbereich des Finanzministeriums gehörte, mehrere bewaffnete Fregatten (vgl. Hubatsch, 1981, S. 31).

Auch der 1815 gegründete Deutsche Bund konnte sich nur auf ein gemeinsames Heer einigen. In Preußen hatte man von Schweden mehrere Kanonierschaluppen sowie zwei Marineoffiziere übernommen. 1816 stellte man in Stralsund einen bewaffneten Schoner in Dienst, der den Namen der Stadt trug (vgl. Hansen, 1998, S. 11). Bald wurden die ersten Stimmen laut, die nach einer Marine verlangten, die wenigstens offensiv die Küste schützen sollte (vgl. Hubatsch, 1981, S. 31). Neben Feldmarschall August Neidhardt von Gneisenau, einem der führenden Heeresreformer der Jahre 1806 bis 1813, machte sich ein Mitglied des Königshauses, Prinz Adalbert von Preußen (1811 bis 1873), zum Fürsprecher einer Marine und regte 1835/36 den ersten Flottenbauplan an (vgl. Diwald, 1980, S. 377). Der Prinz hatte zuerst eine Offizierausbildung im preußischen Heer absolviert. Auf englischen Kriegsschiffen konnte er anschließend die militärische Bedeutung einer Seemacht kennenlernen. Die Royal Navy galt im 19. Jahrhundert als die beste Flotte der Welt. Prinz Adalbert plädierte für eine Marine mittlerer Größe, die in der Nord- und Ostsee den deutschen Handel gegen Feinde schützen könnte. Ein Wettrüsten mit den großen Flottenmächten lag ihm fern.

In der Öffentlichkeit wuchs die Sympathie für eine deutsche Flotte (vgl. Duppler, 1985, S. 17). Die Marine schien für die deutsche Nationalbewegung auch eine symbolische Funktion zu haben; sie war das Projekt, das zur deutschen Einheit beitragen konnte (vgl. Schulze-Wegener, 1998, S. 14). Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, ein liberaler Adliger aus dem Königreich Bayern, notierte kurz vor der Revolution:

„Und wenn wir die Karte betrachten und sehen, wie Ostsee, Nordsee und Mittelmeer an unsre Küsten schlagen und kein deutsches Schiff, keine deutsche Flagge auf der See den stolzen Engländern und Franzosen den üblichen Gruß abzwingt, muß uns da nicht die Farbe der Scham von dem schwarzrotgoldenen Bande allein übrigbleiben und in die Wange steigen?“ (Schulze, 1992, S. 151 f.).

In Berlin war man am Aufbau einer Marine bis 1840 nicht interessiert (vgl. Schulze-Wegener, 1998, S. 12). Als König Friedrich-Wilhelm IV. zu Beginn der Vierzigerjahre eine Korvette auf Kiel legen ließ, mussten Angehörige der dänischen Marine verpflichtet werden, um die Anordnung der Segel fachgerecht vorzunehmen. Die 1843 vom Stapel gelaufene „Amazone“ gilt als „Großmutter“ der deutschen Flotte (vgl. Hansen, 1998, S. 12). Das Segelschiff sollte den seemännischen Nachwuchs schulen und die preußische Flagge auf den Weltmeeren zeigen.

Im Frühjahr 1848 kam es in den Herzogtümern Schleswig und Holstein zu einer Volkserhebung. Am 18. März beschloss eine Versammlung der Stände beider Länder in Rendsburg, vom dänischen König eine freiheitliche Verfassung zu fordern. Außerdem sollte Schleswig dem Deutschen Bund beitreten. Daraus entwickelte sich ein bewaffneter Konflikt, in den der Deutsche Bund hineingezogen wurde. Preußische Truppen unterstützten die Stände von Schleswig und Holstein. Am 19. April 1848 eröffneten dänische Schiffe den Kaperkrieg. Ab dem 1. Mai blockierten sie die deutschen Küsten (vgl. Heinsius, 1981, S. 16). Die Herzogtümer Schleswig und Holstein und die Stadt Hamburg organisierten im Frühjahr 1848 provisorische Seestreitkräfte. Schlagartig wurde den Deutschen vor Augen geführt, dass ihre „nasse Flanke“ ungeschützt war. Deutschland benötigte eine Marine. Doch wie sollten in kurzer Zeit Kriegsschiffe gebaut und einsatzbereit gemacht werden?

Die Frankfurter Paulskirche und die Pläne für die erste deutsche Flotte

Am 13. April 1848 beriet man im Bundestag den Aufbau einer deutschen Flotte (vgl. Schulze-Wegener, 1998, S. 15). Im Frankfurter Parlament wurde am 18. Mai 1848 ein „Fünfzigerausschuss“ eingerichtet, der den Bau einer Reichsmarine vorbereiten sollte. Den Vorsitz hatte der Bremer Handelssenator Arnold Duckwitz inne. Im Juli 1848 kam es zum Abschluss eines siebenmonatigen Waffenstillstandes mit Dänemark, der den Deutschen Zeit einräumte, ihre Rüstungen zur See voranzutreiben. Eine Marinekommission entstand, an deren Spitze für kurze Zeit Prinz Adalbert von Preußen stand.

Handelsminister Duckwitz unterbreitete schließlich Bromme das Angebot, in den Dienst des Paulskirchenparlaments zu treten. Neben seinen praktischen Erfahrungen als Seeoffizier hatte sich Bromme auch durch ein Lehrbuch für die Marine für die Position empfohlen (vgl. Ganseuer, Wagner, 2018, S. 88).

 

Der Kommandeur der Reichsflotte
Bromme als Kommandeur der Reichsflotte,
vermutlich 1850 (Städtegeschichtliches Museum Leipzig) Das Foto habe ich Wikimedia Commons entnommen.

 

Am 26. August 1848 beugte sich Preußen dem Druck der europäischen Großmächte und schloss in Malmö einen Waffenstillstand mit Dänemark, ohne die Frankfurter Nationalversammlung zu konsultieren. Die Ohnmacht des Parlamentes wurde erneut vor Augen geführt. Doch es war klar, dass der Krieg nur eine Pause machen würde.

Die Paulskirchenversammlung rüstete zu einem neuen Waffengang. Von einer einheitlichen deutschen Marinepolitik konnte auch in diesen Monaten keine Rede sein. Im Herbst 1848 existierten die Hamburger Flottille, die Seestreitkräfte der Herzogtümer von Schleswig und Holstein, die preußische Flotte und die Reichsmarine. Die von der Paulskirche im März 1849 verabschiedete Reichsverfassung sah in Paragraf 19 vor, dass die Marine Sache des Reiches sei und kein Einzelstaat eine eigene Flotte unterhalten dürfe. Hamburg übergab seine Schiffe daraufhin am 1. April 1849 der Seezeugmeisterei (so der Name der Dienststelle, die für die Flotte verantwortlich war). Die Regierung von Schleswig und Holstein schloss sich diesem Schritt an, beließ aber ihre Marine unter eigenem Kommando. Preußen ignorierte diese Verfassungsklausel; es hatte die Reichsverfassung nicht anerkannt.

Bromme, der die Verantwortung für die erste deutsche Flotte trug, versuchte 1848/49 einsatzfähige Seestreitkräfte aus dem Boden zu stampfen (vgl. Uhlrich, 2000, S. 35). An Unterstützung aus der Bevölkerung mangelte es nicht. Die Seezeugmeisterei wurde mit einer Flut von Vorschlägen überschüttet, wie man die Dänen schlagen könne. Schiffe und ausgebildetes Personal fehlten jedoch. Die Fahrzeuge, die im patriotischen Überschwang der Marine geschenkt worden waren, erwiesen sich teilweise als unbrauchbar. Es blieb nur der Ausweg, in England und den USA Schiffe zu kaufen, was angesichts des ungeklärten völkerrechtlichen Zustands der Frankfurter Paulskirche nicht einfach war (vgl. Valentin, 1970, S. 325, Band 2). Mehrere Schiffe, drei neue Radkorvetten und zwei Radfregatten, wurden in England erworben und mit englischem Personal nach Hamburg überführt. Auch im Offizierkorps waren mehrere Engländer zu finden, daneben Belgier, Amerikaner und Kapitäne, die aus der deutschen Handelsmarine stammten.

Die Aufgabe von Bromme, der in Bremerhaven stationiert war, bestand darin, bis zum Ablauf des Waffenstillstandes mit diesem Personal und den Schiffen einen schlagkräftigen Verband zu bilden, der den Dänen zwar keine offene Seeschlacht liefern konnte, aber der Handelsmarine wenigstens einen gewissen Schutz zu bieten vermochte. Immerhin gab es genug deutsche Matrosen, sodass die englischen Besatzungen in die Heimat entlassen werden konnten – ihr Einsatz hätte sowieso große Probleme aufgeworfen. Schon das zusammengewürfelte Offizierkorps zu schulen, nahm viel Zeit des Seezeugmeisters Nordsee in Anspruch. Die vorhandenen Mittel waren so knapp bemessen, dass Schießübungen mit scharfer Munition nicht durchgeführt werden konnten. Neutrale Beobachter waren sich einig, dass Bromme in dieser kurzen Zeit Beachtliches leistete und die Grundlagen für eine deutsche Marine legte. Einige der vom Seezeugmeister Nordsee ausgearbeiteten Vorschriften wie die Verfügung über den „Dienst an Bord“ (D. a. B.) beeinflussten nach 1956 noch die Bundesmarine (vgl. Heinsius, 1981, S. 22).

Ende März 1849 lief der Waffenstillstand ab, und die Dänen nahmen ihre Blockade der Nordseeküste wieder auf. Die Deutsche Revolution war mittlerweile gescheitert. In Berlin und Wien hatte sich die Gegenrevolution durchgesetzt. Der preußische König hatte die ihm angebotene Kaiserkrone abgelehnt. In vielen deutschen Staaten etablierten sich wieder konservative Regierungen. Die Flotte – ein Kind der Revolution – fieberte dem ersten Einsatz entgegen, als sich in Frankfurt die Nationalversammlung bereits auflöste.

Zu einer Seeschlacht kam es 1849 nicht mehr. Bromme unternahm im Frühsommer 1849 mit einigen Schiffen mehrere Vorstöße in die Nordsee und zwang bei einem Einsatz am 4. Juni 1849 ein dänisches Kriegsschiff zur Flucht unter die Kanonen von Helgoland, das damals noch zu England gehörte. Man kann darüber diskutieren, ob diese Unternehmung militärisch erfolgreich war (vgl. Uhlrich, 2000, S. 38). Aber die Reichsflotte zeigte Flagge. Dies hatte man vor allem einem Mann zu verdanken: Carl Rudolph Bromme. Am 3. April 1849 wurde er zum Kapitän zur See befördert; am 23. November zeichnete man ihn mit der Ernennung zum Konteradmiral aus.

Das Ende der ersten deutschen Marine (1849 bis 1853)

Im März/April 1849 war das Schicksal der Revolution entschieden. Der Deutsche Bund trat wieder in seine alten Funktionen ein; das Frankfurter Paulskirchenparlament löste sich auf. Bromme setzte sich dafür ein, die Seestreitkräfte zu erhalten. Ab 1851 Bundesflotte genannt, sollte sie das Letzte sein, was von der Revolution übrig blieb.

Man könnte die Geschichte dieser Flotte als Anekdote für Anhänger der Militärgeschichte abtun. Doch der schnelle Aufbau der Marine gehört zu den wenigen vorzeigbaren Leistungen der Frankfurter Paulskirche. Damit will ich nicht die Klischees vom diskutierenden Professorenparlament bedienen. Die Parlamentarier standen vor großen Problemen und ihr wichtigstes Werk, die Reichsverfassung von 1849, kann sich sehen lassen. Die Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes konnten sich nicht auf eine Finanzierung der Marine einigen; für sie stellten die Schiffe nur eine finanzielle Belastung dar. Einige Staaten verweigerten die Zahlungen. 1853 endete die Geschichte der ersten Bundesflotte. Die Schiffe wurden öffentlich versteigert. Preußen übernahm einige Einheiten für den Ausbau seiner Marine. Die schnelle Organisation der Reichsmarine war eine beeindruckende Leistung Brommes (vgl. Heinsius, 1981, S. 25). Über ihre Kampfkraft kann man nur Mutmaßungen anstellen.

Die Versteigerung der restlichen Schiffe und die Auflösung der Flotte zum 31. März 1853 konnten nicht verhindern, dass der Flottengedanke in Deutschland wach blieb. Das macht die historische Bedeutung der Reichsflotte/Bundesflotte aus. Ein Mann ist dafür in erster Linie verantwortlich: Carl-Rudolph Bromme. Seiner Energie und Tatkraft war es zu verdanken, dass in relativ kurzer Zeit eine einsatzfähige Marine entstand (vgl. Ganseuer, Wagner, 2018, S. 136).

 

Ich bedanke mich bei Herrn Fregattenkapitän a. D. Erwin Wagner für viele hilfreiche Anmerkungen. Herr Joachim Kaiser von der Carl-Rudolph Bromme-Gesellschaft in Leipzig gab mir Hinweise zur Schreibweise des Namens. (http://www.bromme-gesellschaft.de/).

 

 

 

Beiträge auf dieser Homepage, die mit dem Thema zu tun haben:

http://katharinakellmann-historikerin.de/das-paulskirchenparlament-von-1848/

Ein Aufsatz über die Mehrheitsverhältnisse in der Frankfurter Paulskirche.

 

Weiterführende Informationen:

Über den ersten Kommandeur, Carl Rudolph Bromme, informiert eine Ausstellung im Schiffahrtsmuseum Unterweser: (https://www.schiffahrtsmuseum-unterweser.de/)

 

Literatur:

Hellmut Diwald, Der Kampf um die Weltmeere, München, Zürich 1980

Jörg Duppler, Der Juniorpartner. England und die Entwicklung der Deutschen Marine 1848-1890, Herford 1985

Frank Eyck, Deutschlands große Hoffnung. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848-1849, München 1973

Frank Ganseuer, Erwin Wagner (Hrsg.): Carl Rudolph Brommy – Admiral der Revolution?, Hamburg 2018

Hans-Jürgen Hansen, Die Schiffe der deutschen Flotten 1848 – 1945, Augsburg 1998

Paul Heinsius, Anfänge der deutschen Marine, in:  Walther Hubatsch (Hrsg.): Die erste deutsche Marine 1848 – 1953, Herford 1981, S. 13 – 28

Walther Hubatsch, Die deutsche Reichsflotte 1848 und der Deutsche Bund, in: Walther Hubatsch (Hrsg.): Die erste deutsche Marine 1848 – 1953, Herford 1981, S. 29 – 40

Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, 3. Aufl. München 1992

Guntram Schulze-Wegner, Deutschland zur See. 150 Jahre Marinegeschichte, Hamburg, Berlin, Bonn 1998

Claus Uhlrich, Carl Rudolph Brommy. Der Admiral der ersten deutschen Flotte, Berlin 2000

Veit Valentin, Geschichte der Deutschen Revolution 1848-1849, Köln, Berlin 1970 (Band 1 und 2)

Erwin Wagner, Carl Rudolph Brommy (1804-1860) als Marineoffizier in Griechenland (1827-1849), Oldenburg 2009

 

Der Beitrag wurde am 31. März 2021 überarbeitet.