Dr. Katharina Kellmann

Die letzte Fahrt der „Bismarck“

Der  letzte Fahrt der „Bismarck“ fand im Mai 1941 statt. Sie versenkte in acht Minuten den Stolz der britischen Marine, den Schlachtkreuzer „Hood“. In den nächsten Tagen jagte die Royal Navy mit einer gewaltigen Übermacht das deutsche Schlachtschiff. Kurz vor dem rettenden Hafen erlag die „Bismarck“ ihren Verfolgern. Aufgabe einer Historikerin ist es, Distanz zu wahren und nüchtern zu berichten. Die erste und letzte Fahrt der „Bismarck“ scheint alles zu enthalten, was zu einer Tragödie gehört: Sieg, Kampf und das scheinbar unvermeidliche Ende. Wie verlief dieser Einsatz?

 

Schlachtschiff Bismarck
Das Schlachtschiff Bismarck. Aufnahme aus dem Jahr 1940. Quelle: Bundesarchiv, Bild 193-04-1-26 / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Unternehmen „Rheinübung“

Sie war der Stolz der deutschen Kriegsmarine: das Schlachtschiff „Bismarck“. 1936 wurde sie bei Blohm & Voss in Hamburg auf Stapel gelegt. 1940 stieß sie zur Flotte und absolvierte ein Trainingsprogramm, das neun Monate dauerte. Mit einer Länge von 251 Metern und einer maximalen Wasserverdrängung von 51 000 Tonnen zählte sie zu den stärksten Kriegsschiffen ihrer Zeit. Acht schwere Geschütze vom Kaliber 38,1 cm konnten sie in ein todbringendes Monstrum verwandeln.

Deutschland trat mit einer Flotte in den Zweiten Weltkrieg ein, die zu schwach war, um den Briten wie 1916 im Skagerrak eine offene Seeschlacht zu liefern. Die deutsche Seekriegsleitung versuchte, mit ihren wenigen schweren Einheiten die Nachschubrouten der Engländer zu bedrohen. Der Marinehistoriker Jochen Brennecke kommt zu dem Ergebnis: „Trotz ihrer numerischen Unterlegenheit wurden diese Einheiten von Großadmiral Raeder (der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, die Verfasserin) in der Verfolgung ihrer strategischen Aufgabe, nämlich Handelskrieg zu führen, mit beispielloser Kühnheit eingesetzt.“ (Jochen Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, Gütersloh 1981, S. 13)

Im Februar 1941 besprachen Vizeadmiral Lütjens und Großadmiral Raeder in Berlin den ersten Einsatz der „Bismarck“. Die Operation sollte unter dem Codewort „Rheinübung“ ablaufen. Historiker haben im Zusammenhang mit der „Bismarck“ die Frage aufgeworfen, ob es nicht besser gewesen wäre, sie zusammen mit ihrem Schwesterschiff „Tirpitz“ einzusetzen. Zwei moderne deutsche Schlachtschiffe hätten möglicherweise mehr Erfolg gehabt. Die „Tirpitz“ hatte im Frühjahr 1941 ihr Trainingsprogramm noch nicht abgeschlossen. Der Historiker Guntram Schulze-Wegner geht davon aus, dass Großadmiral Raeder das „Unternehmen Rheinübung“ auf jeden Fall im Frühjahr 1941 durchführen wollte, weil er fürchtete, dass sich die Einsatzbedingungen für deutsche Kriegsschiffe im Nordatlantik in Zukunft verschlechtern würden. Raeder kalkulierte bereits einen Kriegseintritt der USA mit ein. Außerdem registrierte man in der Seekriegsleitung, dass die Engländer die Luftüberwachung über dem Atlantik verstärkt hätten (vgl. Guntram Schulze-Wegner, Deutschland zur See. 150 Jahre Marinegeschichte, Bonn 1998, S. 192). So fiel im April 1941 die Entscheidung, dass der schwere Kreuzer „Prinz Eugen“ die „Bismarck“ begleiten sollte.

Die Versenkung der „Hood“

In den frühen Morgenstunden des 20. Mai 1941 nahm der Verband Kurs auf die norwegische Küste. Vizeadmiral Lütjens hatte überraschend befohlen, dass die „Prinz Eugen“ in einem norwegischen Hafen ihre Treibstoffvorräte ergänzen sollte. Diese Unterbrechung ermöglichte einem britischen Aufklärungsflugzeug, den Standort der deutschen Kriegsschiffe festzustellen. Der Aufenthalt in Norwegen dauerte nicht lange. Lütjens gab Befehl, durch die Dänemarkstraße nördlich von Island den Nordatlantik zu erreichen, wo man englische Handelsschiffe angreifen wollte.

Im englischen Marineoberkommando rechnete man mit dieser Möglichkeit. Der Schlachtkreuzer „Hood“ und dass gerade in Dienst gestellte Schlachtschiff „Prince of Wales“ verließen ihren schottischen Stützpunkt Scapa Flow mit Kurs auf Island. In der Dänemarkstraße patrouillierten zwei englische Kreuzer, die „Norfolk“ und die „Suffolk“. Die beiden Kreuzer verfügten über moderne Radargeräte. Auch bei schlechter Sicht oder Nebel konnten sie den Standort anderer Schiffe feststellen. Am 23. Mai 1941 sichtete die „Suffolk“ das deutsche Schlachtschiff und suchte Deckung in einer Nebelbank. Kurz darauf bestätigte die „Norfolk“ die Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe. Beide Schiffe folgten der „Bismarck“ und der „Prinz Eugen“ und meldeten pausenlos Standort und Kurs des Gegners.

Die deutsche Kampfgruppe und die beiden britischen Schlachtschiffe liefen in den Morgenstunden des 24. Mai 1941 aufeinander zu. Die „Hood“, auch als Schlachtkreuzer klassifiziert, genoss in der britischen Marine einen legendären Ruf. Sie verkörperte in den Augen vieler Briten Macht und Größe des Empires. Angeblich hing ihr Foto in vielen Wohnzimmern. Wie die „Bismarck“ verfügte sie über acht Geschütze vom Kaliber 38, 1 cm. Sie war 10 Meter länger und mit 32 Knoten auch schneller als das deutsche Schlachtschiff. Allerdings entsprach ihre Panzerung nicht mehr dem neusten Standard.

Auf den deutschen Schiffen herrschte normaler Wachbetrieb. Lütjens hatte vor dem Auslaufen die Weisung erhalten, Gefechten mit britischen Kriegsschiffen aus dem Weg zu gehen. Als um 5.45 Uhr der Horchraum der „Prinz Eugen“ Schraubengeräusche von schweren Turbinen meldete, war jedoch klar, dass eine Schlacht nicht mehr zu vermeiden war. Um 5.52 Uhr eröffneten die Briten das Feuer. Auf der Brücke der „Bismarck“ hatte man mittlerweile die „Hood“ erkannt. Die Briten hielten in Kiellinie auf die Deutschen zu. Dann wendeten „Hood“ und „Prince of Wales“, um ihre ganze Artillerie einsetzen zu können. Dies nutzte der Kommandant der „Bismarck“ und gab um 5.55 Uhr Feuererlaubnis. 6 Minuten später schlug eine Vollsalve des deutschen Schlachtschiffes auf der „Hood“ ein. Der Stolz der britischen Marine explodierte. Bis zu 300 Metern soll die Flammensäule hoch gewesen sein. Von den 1419 Mann der Besatzung überlebten nur drei. Wo gegen 6.00 Uhr noch die „Hood“ die See durchpflügt hatte, lag nun eine große Qualm Wolke über einem brennenden Ölteppich, der das Meer bedeckte.

Verfolgung der „Bismarck“

„Bismarck“ und „Prinz Eugen“ nahmen nun die „Prince of Wales“ unter Feuer. Das britische Schlachtschiff erhielt sieben Treffer und brach den ungleichen Kampf ab. Aber auch die „Bismarck“ hatte vier Treffer erhalten. Eine feindliche Granate hatte einen Ölbunker beschädigt. Der Schaden konnte auf See nicht beseitigt werden.

Vizeadmiral Lütjens entschloss sich daher, die „Prinz Eugen“ zur Fortführung des Tonnagekrieges zu entlassen und mit der „Bismarck“ einen französischen Hafen anzulaufen. In der britischen Admiralität gab es jetzt nur noch ein Ziel. Die „Bismarck“ musste zuerst vernichtet werden. Der Historiker Antony Beevor geht davon aus, dass über 100 englische Kriegsschiffe dafür eingesetzt wurden (vgl. Antony Beevor, Der Zweite Weltkrieg, München 2014, S. 217). Das deutsche Schlachtschiff stellte eine erhebliche Gefahr für die britische Handelsschifffahrt dar. Hinzu kam der Prestigeverlust: Das Ende der „Hood“ erinnerte an die Versenkung zweier britischer Linienschiffe in der Seeschlacht im Skagerrak. Auch damals hatte die deutsche Artillerie ihr überragendes Können bewiesen.

Die Briten waren in der Überzahl, aber die Weite des Atlantiks bot den Deutschen immer noch genug Raum, um sich ihren Verfolgern zu entziehen. Mit mehreren Schlachtschiffen suchte die Royal Navy die „Bismarck“. Premierminister Winston Churchill ließ sich auch in der Nacht regelmäßig über die Lage informieren. In der Tat hatte die „Bismarck“ am Morgen des 25. Mai 1941 ihre Verfolger abgeschüttelt. Vizeadmiral Lütjens war jedoch der Meinung, dass die englische Marine das Schiff geortet hätte und beging den Fehler, einen längeren Funkspruch abzusetzen, der es den Briten erlaubte, den Standort der „Bismarck“ festzustellen (vgl. Schulze-Wegner, Deutschland zur See, S. 194).

Am 26. Mai 1941 sichteten die Verfolger das deutsche Schlachtschiff. Allerdings konnten nur noch Torpedoflugzeuge den Gegner erreichen. 15 Maschinen flogen einen Angriff und erzielten zwei Treffer. Einer davon sollte sich als verhängnisvoll erweisen: Der Torpedo zerstörte die Ruderanlage des deutschen Schiffes. Die „Bismarck“ war manövrierunfähig. Nun konnte ihnen das Schiff, dass die Hood versenkt hatte, nicht mehr entgehen.

Das letzte Gefecht

Am 27. Mai 1941 schrillten auf der „Bismarck“ gegen 8.00 Uhr ein letztes Mal die Alarmglocken. Mehrere britische Schlachtschiffe eröffneten das Feuer. Um 8.47 Uhr erzielte die „Bismarck“ ihre letzten Treffer. Die Berichte von Überlebenden bestätigen, dass der größte Teil der Besatzung bis zuletzt seine soldatische Pflicht getan hat. Um 11.00 Uhr sank die „Bismarck“. 19 Minuten später funkte Admiral Tovey, der die britischen Seestreitkräfte befehligt hatte: „Ich möchte meine höchste Anerkennung für den überaus tapferen Kampf der Bismarck in aussichtsloser Lage aussprechen.“ (Brennecke, S. 263)

Nach dem Untergang des Schlachtschiffes gelang es den Briten, 115 deutsche Marinesoldaten zu retten. 2200 Mann gingen mit der „Bismarck“ unter (vgl. Beevor, Zweiter Weltkrieg, S. 217). Als die Überlebenden in England ihre Schiffe verließen, um in ein Gefangenenlager überstellt zu werden, pfiffen die britischen Besatzungen „Seite“ – ein militärisches Zeremoniell, das als Ehrenerweisung gilt.

Warum kam es zum Verlust der „Bismarck“?

Nach einer verlorenen Schlacht beginnt nicht selten die Suche nach den Schuldigen. In der deutschen Literatur wird häufig Vizeadmiral Lütjens für den Verlust der „Bismarck“ verantwortlich gemacht. Warum ließ er den Kampf gegen die „Prince of Wales“ nicht fortsetzen? Warum entließ er die „Prinz Eugen“ in den Atlantik?

 

Vizeadmiral Günter Lütjens
Vizeadmiral Günter Lütjens im April 1940. Quelle: Bundesarchiv, Bild 101II-MW-0434-05A / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons (https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/de/search/?query=Bild+101II-MW-0434-05A)

 

Lütjens hatte die Weisung, Tonnagekrieg gegen die Briten zu führen. Da die „Bismarck“ dazu nicht mehr in der Lage war, sollte wenigstens die „Prinz Eugen“ den Auftrag der Seekriegsleitung erfüllen. Das übergeordnete strategische Ziel des Handelskrieges hatte für ihn auch Vorrang vor einer möglichen Vernichtung der „Prince of Wales“.

Oft wird Kritik an der Führung von Lütjens geübt. Als er sich am 25. Mai 1941 bei der Besatzung für die Geburtstagsglückwünsche bedankte, hielt er eine kurze Rede, in der er darauf hinwies, dass die Royal Navy die „Bismarck“ jagen würde. Wie bereits erwähnt glaubte der Admiral, die Position des Schiffes sei dem Gegner bekannt. Entsprechend pessimistisch sei der Ton seiner Ansprache gewesen. Dies hätte die Stimmung der Besatzung negativ beeinflusst. Aber hätte eine „feurige“ Rede etwas an der Tatsache geändert, dass die Briten aus militärischen und psychologischen Gründen die „Bismarck“ versenken wollten? 1941 gefährdeten nicht nur die Unterseeboote England. Auch die wenigen deutschen Überwassereinheiten stellten eine Bedrohung dar. Zumindest hätte die Royal Navy einen Teil ihrer Seestreitkräfte zur Verfügung halten müssen, die auf anderen Kriegsschauplätzen gefehlt hätten.

Günther Lütjens galt in der deutschen Marine als hochbefähigter Offizier. Was ihm fehlte, war das Charisma, das militärische Führungspersönlichkeiten wie Erwin Rommel auszeichnete. Seine verschlossene Natur machte es seiner Umgebung nicht immer leicht. Lütjens konnte nach Aussagen von Zeitzeugen „stur“ sein. Doch zeichnen nicht gerade Konsequenz und auch Verschwiegenheit einen Admiral aus? Einen Flottenverband kann man nicht mit Diskussionsrunden führen.

Ob Vizeadmiral Lütjens bei der Operation „Rheinübung“ Fehler gemacht hat, wird wohl auch in Zukunft unter Marineoffizieren und Historikern zu Diskussionen führen. Aber niemand kann sich heute in die Situationen versetzen, unter denen der Admiral seine Entscheidungen fällen musste.

In der Bundesmarine geriet sein Name nicht in Vergessenheit. 1969 benannte sie eines ihrer modernsten Schiffe, einen Zerstörer, nach Günther Lütjens.

 

Zum Thema Seekrieg siehe auch: Das Ende der „Admiral Graf Spee“ — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de).

 

Weiterführende Informationen:

https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article188706547/Bismarck-Hitlers-Superschlachtschiff-sprengte-alle-Dimensionen.html

Ein Artikel von Johan Althaus.

 

Literatur:

Antony Beevor, Der Zweite Weltkrieg, München 2014

Jochen Brennecke, Schlachtschiff Bismarck, Gütersloh 1981

Ludovic Kennedy, Versenkt die Bismarck! Triumph und Untergang des stärksten Schlachtschiffes der Welt, Wien, München, Zürich, 1975

Guntram Schulze-Wegner, Deutschland zur See. 150 Jahre Marinegeschichte, Bonn 1998