Dr. Katharina Kellmann

Attentat auf Hitler

20. Juli: Das Attentat auf Hitler. Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg unternahm den Versuch, den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht zu töten. Bei einer Lagebesprechung im „Führerhauptquartier“ deponierte er eine Bombe unter dem Kartentisch. Sie detonierte, aber der Diktator überlebte. Welche Motive bewogen Stauffenberg und seine Mitstreiter und warum schlug das Attentat fehl?

Der 20. Juli 1944 schien in den Büros der Wehrkreiskommandos wie üblich zu verlaufen. Am späten Nachmittag trafen auf einmal Meldungen ein, die überraschten. Aus dem Allgemeinen Heeresamt in Berlin kam die Mitteilung, dass Hitler tot sei und Generalfeldmarschall von Witzleben, der seit 1942 kein Kommando mehr innehatte, den Oberbefehl über die Wehrmacht übernommen hätte: die Operation „Walküre“ wurde in Kraft gesetzt.

Dahinter verbarg sich ein Alarmplan, der zur Bekämpfung innerer Unruhen ausgearbeitet worden war. Aus der Dienststelle des Befehlshabers des Ersatzheeres meldete sich ein Oberst Stauffenberg und versuchte, die Befehlshaber der Wehrkreise davon zu überzeugen, dass der Diktator tot sei. Die Wehrmacht übernähme jetzt die vollziehende Gewalt. In Wien und Paris wurden Parteifunktionäre und Angehörige der SS und des SD festgesetzt, beziehungsweise verhaftet. In Berlin riegelte das Wachbataillon unter Major Remer das Regierungsviertel ab. Vom ostpreußischen Rastenburg aus, wo Hitler sein militärisches Hauptquartier aufgeschlagen hatte, versuchte Generalfeldmarschall Keitel, der regimetreue Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, die Dienststellen im Reich und in den besetzten Ländern davon zu überzeugen, dass der Diktator lebte.

 

20. Juli 1944
Mussolini und Hitler besichtigen die Baracke, in der am 20. Juli 1944 Graf Stauffenberg den Diktator töten wollte. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1970-097-76 / CC-BY-SA via Wikimedia Commons.

 

Im Berliner Propagandaministerium steckte sich Minister Goebbels Zyankalikapseln ein. Die Panzer der Kampftruppenschule in Krampnitz nahe Berlin rollten durch Potsdam in Richtung Regierungsviertel. Für einen kurzen Augenblick schien am späten Nachmittag des 20. Juli 1944 das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nahe.

Doch der Putsch scheiterte. Hitler hatte nur leichte Verletzungen davon getragen. Den Verschwörern war es nicht gelungen, die Kommunikationssysteme der Wehrmacht und des Regimes unter Kontrolle zu bringen.

Um 18.20 Uhr brachte der Staatsrundfunk eine Meldung, in der es hieß, Hitler hätte ein Attentat mit leichten Verletzungen überlebt und nach einer kurzen Unterbrechung sofort seine Arbeit wieder aufgenommen. In den Wehrkreisen, in denen man sich zu Beginn des Nachmittags noch abwartend verhalten hatte, stoppte man endgültig die Durchführung der „Walküre“-Pläne. Im Bendlerblock in Berlin, dem Sitz des Befehlshabers des Ersatzheeres, versuchte Stauffenberg immer noch verzweifelt, den Umsturz voranzutreiben. Um 22.00 Uhr musste er einsehen, dass das Attentat gescheitert war.

Ab 22. 45 Uhr sammelten sich die Offiziere, die nicht mit dem Putsch sympathisierten. Sie befreiten den Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Fromm, den die Verschwörer abgesetzt hatten. Fromm berief vor Mitternacht ein Standgericht ein, dass General der Infanterie Friedrich Olbricht, Oberst im Generalstab Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Oberst im Generalstab Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant der Reserve Werner von Haeften, den Ordonnanzoffizier Stauffenbergs, zum Tode durch Erschießen verurteilte.

Um 00.01 Uhr sendete der Rundfunk eine Ansprache, in der Hitler mitteilte, dass er am Leben sei. Stauffenberg nannte er als Attentäter. 15 Minuten nach Mitternacht wurden die Vier zum Tode Verurteilten von Soldaten des Wachbataillons im Bendlerblock füsiliert. General Beck, der vergeblich versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, erhielt einen Gnadenschuss.

Stauffenberg übernimmt im Widerstand eine führende Rolle

Der Attentäter, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, wurde 1907 geboren. Er entstammte einer württembergischen Adelsfamilie. 1926 trat er in die Reichswehr ein und machte schnell Karriere. Von 1936 bis 1938 besuchte er die Kriegsakademie und wurde anschließend in den Generalstab versetzt. Stauffenberg gehörte damit zur Elite des deutschen Offizierkorps (zur Biografie Stauffenbergs siehe: https://katharinakellmann-historikerin.de/thomas-karlauf-und-seine-mutmassungen-ueber-den-20-juli/)

Die Feldzüge gegen Polen und Frankreich machte er als 2. Generalstabsoffizier einer Panzerdivision mit. Ende Mai 1940 wurde er in die Organisationsabteilung des Generalstabes versetzt – eine herausgehobene Funktion.

Nach fast drei Jahren Stabstätigkeit erhielt Stauffenberg am 30. Januar 1943 wieder ein Frontkommando. Er wurde nach Nordafrika versetzt, wo er am 7. April 1943 schwere Verletzungen erlitt: Fortan konnte er nur noch über drei Finger an der linken Hand verfügen; das linke Auge und die rechte Hand hatte er verloren. Stauffenberg hätte sich auch pensionieren lassen können, aber er verfolgte ein ganz anderes Ziel: Er wollte Hitler töten.

Der Diktator hatte bis dahin eine Reihe von Anschlägen überlebt; teilweise kamen die Attentäter auch durch einen Zufall nicht zum Zuge. Wie viele jüngere Offiziere der Reichswehr hatte Stauffenberg zuerst mit dem NS-Regime sympathisiert. Deutschland stieg wieder zu einer Großmacht in der Mitte Europas auf, und die Arbeitslosigkeit ging rapide zurück. Wolfgang Venohr, der 1986 eine politische Biografie über Stauffenberg vorlegte, geht davon aus, dass der Offizier von 1933 bis Anfang 1942 Hitler „sehr positiv beurteilt hatte“.

Welche Gründe bewogen Stauffenberg dazu, sich der Opposition anzuschließen? Die Behandlung der Völker in den besetzten Ländern in Osteuropa, Informationen über deutsche Kriegsverbrechen und Hitlers Versagen als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht führten bei Stauffenberg zum Bruch mit dem NS-Regime. Dabei hatte Stauffenberg bis 1944 wahrscheinlich keine Kenntnis vom ganzen Ausmaß der Judenvernichtung; er erhielt Augenzeugenberichte über die Ermordung von Frauen und Kindern, die andere Stabsoffiziere achtlos oder mit einem Schulterzucken beiseitegelegt hätten.

Stauffenberg war kein Demokrat – das konnte er nach Herkunft und Erziehung auch gar nicht sein. Seine wachsende Ablehnung des Nationalsozialismus unterschied sich aber von den Ressentiments älterer Offiziere, die sich an Hitlers Tischmanieren störten oder den „Weltkriegsgefreiten“ für nicht gesellschaftsfähig hielten. Stauffenberg war nicht nur ein sehr fähiger Soldat, sondern auch ein hochgebildeter Mensch. In seiner Jugend gehörte er zum Kreis um den Dichter Stefan George. Dessen elitäres Weltbild bestimmte auch sein politisches Denken. Als Angehöriger des Generalstabes wollte er nicht nur tatenlos mit ansehen, wie Deutschland den Krieg verlor; ihn belastete vor allem die Vorstellung, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus Deutschland als Kultur- und Geistesnation entehrten.

Festzuhalten bleibt, dass Stauffenberg sich der Opposition anschloss, weil er den militärischen Untergang des Reiches fürchtete. Aber auch moralische Bedenken spielten eine Rolle. Die Beseitigung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft bedeutete nicht, dass sein Rechtsstaatsverständnis von den Idealen der Französischen Revolution bestimmt war. Freiheit und Gleichheit, das waren Begriffe, mit denen ein Anhänger Stefan Georges wenig anfangen konnte. Seine Vorstellungen über eine politische Ordnung ohne Hitler waren recht unbestimmt; eine Wiederherstellung der Weimarer Demokratie sollte es nicht geben. Aber Stauffenberg begriff 1943/44 allmählich, dass ein reiner Militärputsch keine Legitimation hätte. Die Kontakte, die er 1943 zu Sozialdemokraten wie Julius Leber aufnahm, waren keineswegs nur taktischer Art.

Stauffenberg war immer stolz darauf gewesen, „Soldat im Volk“ zu sein, wobei das Volk für ihn nicht aus Individuen bestand, die von Natur aus gleich waren. Die Gespräche mit dem Sozialdemokraten Leber beeindruckten ihn, was bei konservativen Vertretern des Widerstands Befürchtungen wach rief, Stauffenberg plane einen „Links-Putsch“. Doch er machte den Honoratioren in der Fronde gegen Hitler schnell klar, dass die Arbeiterschaft gewonnen werden müsste, damit nicht der Eindruck entstünde, eine reaktionäre Militärdiktatur sollte an die Stelle der NS-Tyrannei treten. Stauffenberg wiederum forderte von Leber, die Stellung des Adels zu respektieren, aber dieser Adel müsse seinen Führungsanspruch auch durch Leistung legitimieren. Das Gefühl, einer Führungsschicht anzugehören, bedeutete für Stauffenberg in erster Linie eine Verpflichtung. Stauffenberg und Tresckow trafen im September 1943 in Berlin zusammen und waren sich schnell darüber einig, dass der Diktator beseitigt werden müsste.

Selbst in oppositionellen Zirkeln gab es Vorbehalte gegen die Ermordung des Tyrannen. Die Gründe waren unterschiedlicher Natur: Einige fürchteten, der tote Hitler würde zum Märtyrer werden; andere lehnten aus moralischen Gründen eine gewaltsame Lösung ab. Goerdeler, einer der führenden Zivilisten im Widerstand, glaubte, man könne Hitler zum Rücktritt bewegen – eine aus heutiger Sicht naive Vorstellung. Nachdem im Herbst 1943 die Entscheidung für das Attentat gefallen war, ging es darum, den Plan in die Tat umzusetzen. Man brauchte einen Attentäter und einen Plan, um den Staatsstreich zu realisieren. Henning von Tresckow wurde im Herbst 1943 wieder an die Ostfront versetzt, wo er zuerst ein Infanterieregiment übernahm, ehe er zum Chef des Generalstabes der 2. Armee ernannt wurde, die der Heeresgruppe Mitte angehörte.

Stauffenberg wurde daher im Herbst 1943 zur treibenden Kraft im Widerstand. Eine Widerstandsbewegung gab es nicht, wohl aber einzelne Kreise – heute würde man von Netzwerken sprechen. Auf Gut Kreisau in Schlesien trafen sich mehrmals Persönlichkeiten aus unterschiedlichen politischen Lagern, die über ein Deutschland ohne Hitler nachdachten. Ihre Vorstellungen unterschieden sich von den Zielen des konservativen Widerstandes. Zu ihm gehörten Generaloberst a. D. Ludwig Beck, der 1938 als Chef des Generalstabes des Heeres zurückgetreten war, Carl-Friedrich Goerdeler, der als Leipziger Oberbürgermeister zuerst das NS-Regime begrüßt hatte, ehe er sich 1936 von der Diktatur abwandte oder Ulrich von Hassel, bis 1938 deutscher Botschafter in Rom. Dessen Tagebuchnotizen belegen, dass man in den Kreisen der Verschwörer auch Kenntnis von der Judenverfolgung in Osteuropa hatte und dieses Verbrechen zutiefst missbilligte.

Wie aber sollte der Staatsstreich gelingen, wenn es keine Widerstandsbewegung in der Bevölkerung gab? Die Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes, aber auch eine partielle Zustimmung in Teilen der Gesellschaft mit den Zielen des NS-Systems führten dazu, dass aus der Unzufriedenheit vieler keine Massenopposition wurde. Die ab 1943 einsetzenden Luftangriffe der Westmächte förderten eher ein Durchhaltegefühl, dass Goebbels mit seiner Propaganda geschickt nutzte. Der Putsch musste daher von oben erfolgen. General Olbricht, der Chef des Allgemeinen Heeresamtes, und Oberst Henning von Tresckow kamen auf eine geniale Idee: „Walküre“, ein Alarmplan für den Fall innerer Unruhen, sollte dazu dienen, das Regime nach der Ermordung Hitlers zusammen brechen zu lassen. In Deutschland gab es mittlerweile mehrere Millionen Zwangsarbeiter. Wenn es unter ihnen zum Aufstand gekommen wäre, dann sollte laut „Walküre“ das Ersatzheer, also die im Reichsgebiet stationierten Ersatz- und Ausbildungseinheiten, einschreiten. Eine Handvoll Offiziere würde ausreichen, um einen Mechanismus in Gang zu setzen, der eigentlich das Regime schützen sollte. Der Chef des Allgemeinen Heeresamtes, General Friedrich Olbricht, hatte sich früh der Opposition angeschlossen und unterstützte die Bemühungen seines neuen Stabschefs. Stauffenberg überarbeitete 1943/44 den Plan und veränderte ihn so, dass er am Tage des Attentats ein schnelles Handeln ermöglichte. Eine wichtige Rolle spielte der Chef der Organisationsabteilung im Generalstab des Heeres, Oberst (ab dem 30. Januar 1944 Generalmajor) Hellmuth Stieff (https://katharinakellmann-historikerin.de/generalmajor-hellmuth-stieff/). Stieff organisierte einen geeigneten Sprengstoff, mit dem Hitler getötet werden sollte, wollte aber aus Gewissensgründen nicht die Rolle des Tyrannenmörders spielen. General der Nachrichtentruppe Erich Fellgiebel, im Oberkommando der Wehrmacht verantwortlich für das Nachrichtensystem der deutschen Streitkräfte, sollte nach dem Attentat die Fernmeldeleitungen unterbrechen und das Führerhauptquartier von der Außenwelt isolieren. Der Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm, wusste von den Attentatsplänen, lehnte aber eine aktive Teilnahme am Widerstand ab.

Neben seinen täglichen Dienstpflichten musste Stauffenberg also noch die Planungen für das Attentat vorantreiben. Er baute 1943/44 ein System von Verbindungsoffizieren auf, die in den Wehrkreisen auf die Nachricht vom geglückten Anschlag hin die „Walküre-Befehle“ umsetzen sollten. Aus heutiger Sicht ist es fast ein Wunder, dass ein Offizier in einer wichtigen Funktion monatelang einen Staatsstreich vorbereiten konnte, ohne dass die Gestapo davon Wind bekam. Denn Gerüchte über einen Putsch waren im Umlauf. Mehrere ‚Selbstmordkandidaten‘, die das Attentat ausführen wollten, meldeten sich freiwillig, aber nie ergab sich die Gelegenheit, Hitler zu töten.

Am 1. Juli 1944 wurde Stauffenberg zum Oberst befördert und zum Chef des Generalstabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt. Als Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres war er ebenfalls im Gespräch. In seiner neuen Verwendung sollte er den amtsmüde wirkenden Fromm unterstützen – so die Hoffnung der Wehrmachtführung. Hitler schätzte die Arbeit Stauffenbergs, der im Allgemeinen Heeresamt dazu beigetragen hatte, die Wehrkraft des Reiches zu heben. Für den Widerstand war von Bedeutung, dass Stauffenberg nun die Gelegenheit bekam, Hitler Vortrag zu halten, denn Fromm nahm diese Termine nur ungern wahr. Der Oberst entschloss sich daher, den Anschlag selbst auszuführen, obwohl er eigentlich von Berlin aus die Umsetzung von „Walküre“ vorantreiben wollte. Sein Nachfolger im Heeresamt wurde Oberst im Generalstab Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, der ebenfalls dem Kreis der Verschwörer angehörte.

Die Alliierten waren am 6. Juni 1944 in der Normandie gelandet und weiteten ihren Brückenkopf immer mehr aus. Die verantwortlichen Offiziere in Paris rechneten mit einem baldigen Zusammenbruch der Westfront. Im Osten war die Heeresgruppe Mitte vernichtet worden, und die angrenzenden Heeresgruppen konnten nur mit Mühe und teilweise gegen Befehle Hitlers vor diesem Schicksal bewahrt werden. Wenn die Opposition ein Zeichen setzen wollte, bevor ein gegnerischer Soldat seinen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hatte, dann war es höchste Zeit. Mit einer Bombe in der Aktentasche wollte Stauffenberg bei Hitler in Ostpreußen zum Vortrag erscheinen, unter einem Vorwand die Lagebesprechung verlassen und nach der Explosion mit dem Flugzeug nach Berlin zurückkehren. Gleichzeitig sollte in Berlin das Ersatzheer in Aktion treten. Der Plan barg Risiken, aber eine Alternative gab es nicht mehr.

Attentat auf Hitler

Am 15. Juli 1944 war Stauffenberg nach Rastenburg in Ostpreußen befohlen worden, wo der Diktator unter dem Tarnnahmen „Wolfsschanze“ eines seiner Kriegshauptquartiere aufgeschlagen hatte. Die schweren Niederlagen an der Ostfront erforderten die schnelle Aufstellung neuer Divisionen, eine Aufgabe, die in die Zuständigkeit des Ersatzheeres fiel. Unter den Verschwörern war ausgemacht, dass der Anschlag an diesem Tag erfolgen sollte. Während Stauffenberg am Vormittag in Rastenburg erfuhr, dass Himmler an dem Tag nicht anwesend sei, löste General Olbricht in Berlin „Walküre“ aus. Die Einheiten des Ersatzheeres in der Umgebung von Berlin wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Erst um 14.45 Uhr teilte Stauffenberg am Telefon mit, dass er das Attentat nicht ausführen konnte. Olbricht reagierte schnell und erklärte die angelaufenen Vorbereitungen zu einer Übung. Am 18. Juli erfuhr Stauffenberg, dass er am übernächsten Tag wieder in Rastenburg Vortrag halten sollte. Diesmal sollte die Tat gewagt werden – ob mit oder ohne Heinrich Himmler.

 

Stauffenberg und Hitler
Am 15. Juli 1944 wollte Stauffenberg bereits den Anschlag wagen. Als Chef des Generalstabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres sollte er dem Diktator Vortrag über die Aufstellung neuer Divisionen halten und dabei die Bombe zünden. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1984-079-02 / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.

 

Am Morgen des 20. Juli 1944 flog Stauffenberg zusammen mit seinem Ordonnanzoffizier, Oberleutnant der Reserve Werner von Haeften und Generalmajor Stieff von Berlin nach Rastenburg. Kurz vor Beginn der Lagebesprechung, die um die Mittagszeit stattfinden sollte, bat er unter dem Vorwand, sein Hemd wechseln zu müssen, um ein Zimmer, um sich dort mithilfe seines Ordonnanzoffiziers umziehen zu können. In Wirklichkeit nutzten Stauffenberg und Haeften die Gelegenheit, den Zünder der Bombe klar zu machen. Als sie beinahe fertig waren, wurden sie von einem Oberfeldwebel gestört, der sie zur Lagebesprechung rufen sollte. Wahrscheinlich führte diese Unterbrechung dazu, dass Stauffenberg die zweite Bombe nicht in die Aktentasche einpackte. Sie hätte die Wucht der Explosion noch verstärkt.

Stauffenberg begab sich dann in den Lageraum, einer Holzbaracke, deren Fenster bei der großen Hitze weit geöffnet waren. Der Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres, Generalleutnant Heusinger, referierte gerade über die Lage an der Ostfront. Hitler gab Stauffenberg kurz die Hand, der seine Aktentasche unter den Kartentisch aus massiver Eiche stellte, auf dem das Vortragsmaterial ausgebreitet war. Unter dem Vorwand, noch einen Anruf aus Berlin zu erwarten, verließ er kurz die Runde – bei der „großen Mittagslage“ waren an diesem Tag 25 Personen anwesend, und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Das Verhalten des Obersten war also nichts Ungewöhnliches. Stauffenberg informierte den Telefonisten in der Baracke und wollte bis zum Anruf eine Zigarette im Freien rauchen. Werner von Haeften hatte mittlerweile bei der Kommandantur einen Wagen angefordert, der Stauffenberg und ihn zum einem Flugplatz in der Nähe bringen sollte, wo die Maschine nach Berlin wartete.

Um 12.42 Uhr kam es in der Lagebaracke zu einer heftigen Explosion. Stauffenberg und Haeften bestiegen den gerade ankommenden Wagen und verließen den Barackenkomplex. In dem Tumult, der dort ausgebrochen war, fiel der Verdacht zuerst auf die, Arbeiter der „Organisation Todt“, die an einem neuen Bunkersystem für Hitler arbeiteten. Stauffenberg erwirkte vom Kommandanten der „Wolfsschanze“ am Telefon die Erlaubnis, die Wache passieren zu dürfen. Um 13.00 Uhr erreichten er und Werner von Haeften den Flugplatz, und 15 Minuten später hob die Maschine ab, die sie nach Berlin bringen sollte.

Stauffenberg hatte die Explosion beobachtet und war davon ausgegangen, dass Hitler in den Flammen den Tod gefunden hatte. Von den 24 Teilnehmern waren sieben tot oder schwer verwundet – alle anderen, auch der Diktator – hatten nur leichte Verletzungen davon getragen. Der schwere Eichentisch und die offen stehenden Fenster hatten die Wirkung der Bombe abgeschwächt. Hätte Stauffenberg die zweite Bombe zusätzlich in die Aktentasche gesteckt, so wären die Ereignisse sehr wahrscheinlich anders verlaufen. Hitlers Kleidung war zerrissen. Gestützt auf Generalfeldmarschall Keitel verließ er die Trümmer.

General Fellgiebel, der Chef des Nachrichtenwesens der Wehrmacht, sah von seinem Arbeitsraum aus, dass der Diktator überlebt hatte. Fellgiebel sollte nach dem Tod Hitlers sofort die „Wolfsschanze“ nachrichtentechnisch isolieren, aber angesichts der Ereignisse unternahm er nichts; im Gegenteil: Um 13.20 Uhr gehörte er zu den Gratulanten, die Hitler ihre Ergebenheit zum Ausdruck brachten. Fünf Minuten später rief er in Berlin an und teilte Generalleutnant Thiele, der ebenfalls zum Kreis der Verschwörer gehörte, mit, dass der Diktator überlebt hätte. Thiele wiederum gab diese Information nicht an Olbricht weiter, der diesmal nicht eigenständig „Walküre“ ausgelöst hatte. Stauffenberg hatte den Befehlshaber des Allgemeinen Heeresamtes von Ostpreußen aus nicht mehr erreichen können (er hätte sich ja vorzeitig enttarnt) und ging davon aus, dass Fellgiebel Berlin unterrichtet hätte.

Als Stauffenberg um 15.30 Uhr in Berlin-Rangsdorf gelandet war, erfuhr er zu seiner Überraschung, dass „Walküre“ nicht in Kraft getreten war. Während er sich auf den Weg zum Bendlerblock machte, versuchte General Olbricht den Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Fromm, zum Handeln zu bewegen. Fromm ließ sich mit Keitel verbinden, der bestätigte, dass Hitler lebte. Keitel fragte nach Stauffenberg, der bereits zu diesem Zeitpunkt verdächtigt wurde. Während Olbricht und Fromm berieten, leitete Oberst im Generalstab Mertz von Quirnheim, die Umsetzung von „Walküre“ ein.

Um 16.10 Uhr erfuhr Olbricht vom eigenmächtigen Handeln seines Stabschefs und billigte die Maßnahmen. Der in die Verschwörung eingeweihte Stadtkommandant von Berlin, Generalleutnant von Hase, ließ das Berliner Wachbataillon ‚Großdeutschland‘ alarmieren.

Ab 16.30 Uhr versendete die Nachrichtenzentrale im Bendlerblock die Fernschreiben an die Wehrkreise in Deutschland und die Militärbefehlshaber in den besetzten Ländern. Hitler sei tot, hieß es und Generalfeldmarschall von Witzleben hätte den Oberbefehl über die Wehrmacht übernommen.

Um 16.50 Uhr traf Stauffenberg endlich im Bendlerblock ein und berichtete Olbricht über die Explosion. Danach gingen sie zu Fromm und Stauffenberg bekannte sich, die Bombe gezündet zu haben: Hitler sei tot, Keitel würde lügen, um seine Haut zu retten. Es kam zu einem erregten Wortwechsel, an dessen Schluss der Befehlshaber des Ersatzheeres in „Schutzhaft“ genommen wurde.

Um 17.00 Uhr hatte auch Generaloberst Beck, als provisorisches Staatsoberhaupt vorgesehen, in Zivil den Bendlerblock betreten. Er gab die Parole aus, dass nun so getan werden müsse, als ob das Attentat gelungen sei. Beck ernannte Generaloberst Erich Hoepner zum neuen Oberbefehlshaber des Ersatzheeres. Fromm durfte sich auf Ehrenwort in seine Dienstwohnung begeben, die im Bendlerblock lag. Mittlerweile rückte das Wachbataillon Großdeutschland, für den Schutz der Regierungsgebäude in der Hauptstadt zuständig, aus.

Dem Wachbataillon kam eine Schlüsselstellung bei dem Putsch zu. Generalleutnant von Hase, der Stadtkommandant von Berlin, hatte dem Kommandeur der Einheit, Major Remer, befohlen, das Propagandaministerium zu umstellen und Goebbels zu verhaften. Einer der Offiziere der Einheit, ein Leutnant der Reserve Dr. Hagen – überzeugter Nationalsozialist – zweifelte am Tod Hitlers und bot Remer an, sich bei Goebbels nach der Lage zu erkundigen. Remer war damit einverstanden und Hagen gelang es, mit dem Propagandaminister zu sprechen. Goebbels überzeugte ihn vom Überleben Hitlers, und Hagen setzte seinen Kommandeur in Kenntnis. Remer war ein hochdekorierter Frontoffizier; mit der Verschwörung hatte er im Gegensatz zu General von Hase nichts zu tun. Um 19.15 Uhr meldete sich der Major beim Minister, der ihn mit Hitler verbinden ließ. Der Diktator beförderte Remer am Telefon zum Oberst und befahl ihm, die Ruhe im Regierungsviertel wiederherzustellen.

Das Wachbataillon sammelte sich ab 20.00 Uhr im Garten der Dienstvilla von Goebbels, der in einer flammenden Ansprache dazu aufrief, den Bendlerblock zu stürmen. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich das Scheitern des Staatsstreiches ab. Der Plan setzte ein gelungenes Attentat und die Isolierung von „Wolfsschanze“ für die Stunden danach voraus. Beides misslang. Hinzu kamen unerwartete Ereignisse wie die Vorfälle beim Wachbataillon oder Verzögerungen beim Absetzen der Fernschreiben: Es gab zu wenig Personal.

Im Bendlerblock organisierten sich nun die Offiziere, die nicht in den Putsch eingeweiht waren. General Olbricht räumte um 22.40 Uhr ein, dass der Staatsstreich gescheitert sei. Um 23.15 Uhr telefonierte Stauffenberg noch einmal mit seinem Verbindungsmann in Paris und teilte ihm mit, dass er jede Minute mit seiner Verhaftung rechnete. Dann kam es zu dem eingangs geschilderten Standgerichtsverfahren. Oberst Remer traf nach der Exekution der vier Offiziere im Bendlerblock ein und untersagte weitere Erschießungen. Generaloberst Fromm begab sich zu Goebbels, wo er ebenfalls verhaftet wurde, denn man unterstellte ihm, mit der Verschwörung sympathisiert zu haben. Die Leichen von Olbricht, Stauffenberg, Quirnheim und Haeften wurden noch in der Nacht auf dem St.-Matthäus-Friedhof in Berlin beigesetzt. Himmler ließ sie am nächsten Tag ausgraben, verbrennen und die Asche auf den Rieselfeldern von Berlin verstreuen.

Der 20. Juli 1944 und seine Bedeutung für die Gegenwart

Das Regime nahm Rache, und das tat es auf eine furchtbare Art und Weise. Die beteiligten Offiziere wurden von einem „Ehrenhof“ aus der Wehrmacht ausgestoßen und als Zivilisten der Zuständigkeit des ‚Volksgerichtshofes‘ ausgeliefert.

Seit August 1944 pöbelte der Präsident des Gerichts, Roland Freisler, die Angeklagten an, die von der Folter gezeichnet waren. „Der Vorsitzende, ein Mann namens Freisler, ist ganz offensichtlich ein zynisches Schwein. Niemand wird ihn vergessen“, notierte Marie Wassiltschikow, eine russische Emigrantin, die seit 1940 in Berlin lebte und einige Angeklagte persönlich kannte, am 11. August 1944 in ihr Tagebuch. Selbst Reichsjustizminister Thierack setzte sich bei Goebbels dafür ein, dass Freisler seine verbalen Ausfälle mäßigte, denn die als Zuhörer abkommandierten Offiziere, Soldaten und Zivilisten reagierten – wenn auch verhalten – angewidert auf die Verhandlungsführung. Eine formal korrekte Prozessführung gab es nicht; auch die Verteidiger mussten die Todesstrafe fordern. Sie wurde in Berlin-Plötzensee dadurch vollzogen, dass man die Verurteilten an einem dünnen Draht erdrosselte. Die Henkersknechte, die sich mit Schnaps stärken konnten, hatten die Anweisung, die Prozedur in die Länge zu ziehen. Die Exekutionen wurden gefilmt und dem Diktator vorgeführt. Hellmuth Stieff, Bernd Hoepner, Ulrich von Hassel und Adam von Trott zu Solz, um nur einige zu nennen, fanden so den Tod.

Generaloberst Fromm wurde von einem Kriegsgericht zu Tode verurteilt und kurz vor Kriegsende hingerichtet. Den in der Bevölkerung populären Generalfeldmarschall Rommel, der Mitwisserschaft bezichtigt, stellte Hitler vor die Wahl: Freitod und keine Sanktionen gegen die Familie oder Verhandlung vor dem Volksgerichtshof. Rommel nahm das Gift und erhielt ein Staatsbegräbnis.

Nach dem Krieg dauerte es einige Jahre, ehe der 20. Juli gewürdigt wurde. In den fünfziger Jahren betonten die Historiker Hans Rothfels und Gerhard Ritter die Bedeutung des konservativen Widerstands. Dass auch Sozialdemokraten wie Leber oder Mierendorff als Angehörige des Kreisauer Kreises daran beteiligt waren, wurde eher beiläufig erwähnt. In der Bevölkerung blieben die Meinungen in den fünfziger Jahren geteilt: Nicht wenige Teilnehmer des Kriegs hielten Stauffenberg für einen eidbrüchigen Soldaten, der kein Vorbild sein könne. Offiziell bekannte sich die Führung der Bundeswehr zum Widerstand, aber bis in die sechziger Jahre hinein war der Appell zum 20. Juli für viele eher ein widerwillig wahrgenommener Pflichttermin.

Seit den sechziger und siebziger Jahren traten in der Widerstandsforschung die Attentäter des 20. Juli wieder zurück: Sozialistische, kommunistische und gewerkschaftliche Widerstandsaktivitäten und ihre zum Teil regionale Wirksamkeit wurden nun erforscht. Hinzu kam eine Kontroverse darüber, was Widerstand denn eigentlich sei. Der ehemalige Bundeswehrgeneral Schmückle (der als Offizier des Heeres nicht zum Kreis um Stauffenberg zählte) kommentierte dies in einer Fernsehsendung süffisant mit der Bemerkung, dass die Ausweitung des Widerstandsbegriffes dazu führe, dass die Deutschen ein Volk von Widerständlern gewesen seien.

Die historisch-kritische Einordnung der Männer des 20. Juli zeigte, dass sie überwiegend antidemokratischen und national-konservativen Leitbildern folgten. Beck, von Hassel und Goerdeler wuchsen im Kaiserreich auf und hatten zuerst mit dem Nationalsozialismus sympathisiert. Die jüngeren Verschwörer wie Stauffenberg, Stieff oder Tresckow waren in der Reichswehr sozialisiert worden; sie empfanden sich als national und standen dem Gedanken einer Volksgemeinschaft offen gegenüber. Tresckow und Stieff hatten die letzten Monate des Ersten Weltkrieges noch miterlebt; eine Restauration der Hohenzollern – deren oberster Repräsentant sich durch Flucht nach Holland der Verantwortung entzog – war nicht ihr Anliegen. So soll Stauffenberg 1943/44 bei einer nächtlichen Diskussion über die nötigen Veränderungen in der Wehrmacht nach dem Tod des Diktators entschieden protestiert haben, als ein älterer Offizier für Mannschaftssoldaten wieder die Anrede in der dritten Person einführen wollte. Er sei „Soldat im Volk“, wie er immer wieder betonte.

Als politische Leitfiguren für die Bundesrepublik eignen sich die Männer des 20. Juli nicht. Auch wenn in nachgelassenen Papieren – beispielsweise den Aufzeichnungen von Goerdeler – Wahlen und Grundrechte vorgesehen waren; auch wenn Stauffenberg im Juni 1944 dafür plädierte, sogar Kommunisten in die Nachkriegsordnung mit einzubeziehen: Antiparlamentarische, nationalistische, antipluralistische Denkmuster finden sich immer wieder, wie die Denkschrift Goerdelers aus dem Jahr 1941 über die Ziele des konservativen Widerstands beweist. Beck und Goerdeler strebten eine parlamentarische Monarchie an, während Stauffenberg an ein berufsständisch geprägtes System dachte, in dem Persönlichkeiten und nicht Parteien eine Rolle spielten. Als junger Leutnant hatte er die Schlussphase der Weimarer Republik miterlebt und deshalb kein Vertrauen zum herkömmlichen Parteiensystem; eine Überzeugung, der sogar Sozialdemokraten wie Julius Leber und Carlo Mierendorff zuneigten. Gerade die Gespräche mit Leber in der ersten Jahreshälfte 1944 beeinflussten den Oberstleutnant, ohne ihn zum Sozialisten oder Demokraten zu machen.

Letztlich hat auch das Scheitern des 20. Juli das Bild des Widerstandes in der Öffentlichkeit geprägt: Warum schaffte es ein angeblich hochbefähigter Generalstabsoffizier nicht, eine Bombe zu zünden? Warum lief es an jenem heißen Sommertag eben nicht „generalstabsmäßig“? Diese, manchmal im Unterton der Häme vorgetragene Kritik enthält alle Vorurteile gegen einen „reaktionären Offiziersputsch kurz vor zwölf“. Noch einmal: Stauffenberg war ein Kriegsinvalide, als er sich im Herbst 1943 daran machte, das Attentat zu planen. Er könne den Witwen und Angehörigen der Gefallenen nicht mehr in die Augen schauen, wenn er es nicht wenigstens versucht hätte, soll Stauffenberg einem Freund auf die Frage nach dem Sinn einmal geantwortet haben. Sein Arzt, der angesehene Chirurg Professor Sauerbruch, der mit der Opposition sympathisierte, meinte zu ihm, er sei aufgrund seiner Behinderungen gar nicht in der Lage, einen Anschlag auszuführen.

Stauffenberg betrieb Hochverrat, und dessen war er sich bewusst. Er gehörte einer Generation an, in der es keine Tradition des Staatsstreiches gab. Im Gegenteil: Der November 1918, also der vermeintliche Dolchstoß der Heimat gegen die kämpfende Front, beeinflusste viele Angehörige der militärischen Elite in ihrem Denken. Je kritischer die Lage wurde, desto stärker war die Bereitschaft, militärische, politische oder ethische Bedenken zu unterdrücken und bedingungslos der Staatsführung zu folgen. Wer 1943/44 den Rang eines Generals oder Feldmarschalls innehatte, der war gegen Ende des Ersten Weltkrieges Leutnant oder Hauptmann gewesen. Er hatte miterlebt, dass Teile der Truppe ab dem Hochsommer 1918 nicht mehr bereit waren, bis zum Äußersten zu kämpfen, dass die Zahl der von den Gegnern Gefangenen drastisch zunahm und immer mehr Soldaten fahnenflüchtig wurden. Oft musste Stauffenberg sich anhören, dass ein Militärputsch zu einem Bürgerkrieg führen würde.

Am 26. Januar 1943, kurz vor seiner Abkommandierung nach Nordafrika, suchte Stauffenberg Generalfeldmarschall Erich von Manstein, den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd auf, die im Südabschnitt der Ostfront operierte. Mannstein galt als der fähigste Stratege der Wehrmacht und wäre für die Verschwörung wichtig gewesen. Stauffenberg sprach das Schicksal der 6. Armee an, deren Überreste in den Trümmern von Stalingrad verzweifelt und völlig sinnlos Widerstand leisteten, und appellierte an den Feldmarschall, über den militärischen Tellerrand hinaus zu denken. Preußische Feldmarschälle hätten mehrmals in entscheidenden Situationen gegen den Befehl ihres Königs gehandelt. Manstein wies diesen Gedanken energisch zurück; nein, gerade Stauffenbergs Pläne würden zum inneren Zusammenbruch des Reiches und zu einem Zerfall der Wehrmacht führen. Außerdem sei ein Krieg erst verloren, wenn man ihn verloren gäbe. Veränderungen im Oberbefehl und in der deutschen Strategie seien notwendig, aber ein neues 1918 dürfe es nicht mehr geben. Henning von Tresckow versuchte in ähnlicher Form, Generalfeldmarschall von Kluge, bis Herbst 1943 Befehlshaber der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront, für den Putsch zu gewinnen.

Doch Hitler schaffte es immer wieder, höheren Kommandeuren wie Kluge Zuversicht einzuflößen, wenn diese die „Wolfsschanze“ zum Lagevortrag aufsuchten: Neue Waffen stünden zum Fronteinsatz bereit, und außerdem gäbe es zuverlässige Informationen über Spannungen zwischen den Alliierten, die mit Sicherheit zu einem Bruch der gegnerischen Koalition führen würden. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg müsse man einen langen Atem behalten und diesen Kampf bis zum „Endsieg“ weiterführen. Die Alliierten spielten Hitler mit ihrer Forderung nach bedingungsloser Kapitulation einen großen Trumpf in die Hände. Militärs, die dem Diktator ablehnend gegenüberstanden, verweigerten ihre Mitwirkung an der Verschwörung, weil sie glaubten, dass auch ein Deutschland ohne Hitler nur die Möglichkeit hätte, bedingungslos die Waffen zu strecken – eine Option, die man keinem Soldaten zumuten könne.

Die „Außenpolitiker“ des Widerstands wollten sich damit nicht abfinden und strebten einen Sonderfrieden entweder mit den Westmächten oder mit der Sowjetunion an. Die Vertreter der ‚Westlösung‘ versuchten, bis in den Juni 1944 hinein, über die Schweiz oder Schweden in Kontakt mit London oder Washington zu treten. Ein Zweckbündnis mit Stalin wurde ebenfalls erwogen, weil Moskau sich erst später der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation angeschlossen hatte. Außerdem wollten die Verschwörer keinen Frieden wie in Versailles 1919 hinnehmen; der „Anschluss“ Österreichs war in ihren Augen eine Tatsache und Deutschland sollte weiter als Großmacht in Mitteleuropa erhalten bleiben. Die Pläne muten heute irreal an und zeugen davon, dass Teile des Widerstands lange Zeit die deutschen Möglichkeiten überschätzten. Im Juni 1944 musste auch Stauffenberg, der einem Abkommen mit den Westmächten den Vorzug gab, einräumen, dass eine Besetzung Deutschlands nicht mehr abgewendet werden könne.

Teilweise gab es innerhalb der Opposition erregte Diskussionen und das mitten in einem Krieg, der nach Stalingrad in die entscheidende Phase getreten war. Wie sollte der Putsch ablaufen, wie sollte es in den Tagen danach weitergehen, diese Fragen trieben Stauffenberg um, der keineswegs Privatier war, sondern Schlüsselstellungen im Heimatkriegsgebiet innehatte. Das alles entscheidende Motiv für den Widerstand aber war das Ansehen Deutschlands, das mit dem Staatsstreich wiederhergestellt werden sollte. Ende Juni 1944 war die militärische Lage so hoffnungslos, dass die Ermordung Hitlers aus rein machtpolitischem Kalkül sinnlos gewesen wäre. Aber schon viel früher – als es noch Aussichten auf einen Sieg gab – zweifelten einige der späteren Verschwörer an ihrem Tun.

Hellmuth Stieff zum Beispiel besuchte im November 1939 Warschau. Angewidert von den Verbrechen der SS schrieb er am 21. November 1939 an seine Frau: „Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein! (Im Original kursiv). Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutschen Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihnen nicht bald das Handwerk legen.“

Solche Einsichten standen am Beginn eines Prozesses, der im Widerstand enden konnte – nicht musste. Es wäre zu einfach jenen, die nicht zum Widerstand gehörten, jede Gewissensregung abzusprechen. Wer zum Widerstand stieß, hatte Schlüsselerlebnisse wie die von Hellmuth Stieff hinter sich und war bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Die Schande, als Verräter dazustehen, die Befürchtung, scheitern zu können, Zweifel, die immer wieder aufkamen und nicht zuletzt die Gefahr, als „Wehrkraftzersetzer“ hingerichtet zu werden, dies alles prägte den Alltag. Möglicherweise ist so manche ‚Panne‘ oder so manches Missverständnis, das zum Scheitern des Attentats beitrug, auf einen inneren Zwiespalt und die Doppelbelastung zurückzuführen, die sich aus der Tatsache ergab, dass viele Verschwörer wichtige Funktionen in der Wehrmacht innehatten – einen geregelten Achtstundentag gab es nicht.

Hellmuth Stieff hatte sich vier Jahre später entschieden:

„Und ich stelle fest“, schrieb er am 6. August 1943 an seine Frau, „dass meine Auffassung, zu der ich mich in den letzten Tagen durchgerungen habe, die richtige ist, nämlich, daß man sich keiner Verantwortung, die einem das Schicksal abfordert, entziehen darf. Diese Feststellung wird dir genügen. Und ich müsste mich meines eigenen Werdegangs vor mir schämen, wenn ich nicht in dem Augenblick, wo es not tut, meine wahre Pflicht erfülle. Ich werde mich dabei nicht beflecken – darüber kannst Du beruhigt sein.“

Stieff hatte seine inneren Hemmungen überwunden und bekannte sich zum Widerstand, wollte aber nicht derjenige sein, der Hitler tötete.

Was Stauffenberg von Verschwörern wie Stieff unterschied, war die radikale Konsequenz, die er ab 1943 an den Tag legte. Eines aber haben sie gemeinsam. Sie taten etwas, was nur wenige Menschen wagten und wagen: Sie setzten ihr Leben für ihre Überzeugung ein; sie taten es für Deutschland – es war eine Frage der Ehre.

Wir sollten ihrer gedenken.

 

 

Zu General Stieff siehe auch:

Auf dem Weg zum 20. Juli — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

 

Weiterführende Informationen:

100 Jahre Stauffenberg – Heiliger unterm Hakenkreuz – DER SPIEGEL

 

 

Literaturliste (Auswahl):

Joachim C. Fest, Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli, Berlin 1994.

Theodore S. Hamerow, „Die Attentäter“. Der 20. Juli – von der Kollaboration zum Widerstand, München 2004.

Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992.

Klemens von Klemperer/Enrico Syring/Rainer Zitelmann (Hg.), Für Deutschland. Die Männer des 20. Juli 1944, Berlin 1994.

Horst Mühleisen (Hg.), Hellmuth Stieff, Briefe. Berlin 1991.

Wolfgang Venohr, Stauffenberg. Symbol der deutschen Einheit, Berlin 1986.

Antje Vollmer/Lars-Broder Keil, Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer, München 2013.

Eberhard Zeller, Geist der Freiheit. Der 20. Juli, München 1963

Dieser Beitrag wurde zuerst in der Interzeitschrift „Globkult“ veröffentlicht.